Auf den Punkt - Comprehensive Cancer Center Niedersachsen

Veröffentlicht: 27. April 2021
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Prof. Volker Ellenrieder ist Sprecher des Comprehensive Cancer Center Niedersachsen (CCC-N). An der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist er Direktor des UniversitätsKrebszentrum und der Klinik für Gastroenterologie, gastrointestinale Onkologie und Endokrinologie. Prof. Peter Hillemanns ist Stellv. Sprecher des CCC-N. An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Direktor des CCC Hannover und der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Beide repräsentieren das CCC-N als neues Onkologisches Spitzenzentrum und sprechen mit uns im "Auf den Punkt"-Interview unter anderem über die Themen Versorgung, die metropolregionale Zusammenarbeit und digitale Transformation in der Onkologie.

GesundheIT: Prof. Ellenrieder, Prof. Hillemanns, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch für die Auszeichnung des CCC-N zum Onkologischen Spitzenzentrum durch die Deutsche Krebshilfe. Was bedeutet das konkret für die Onkologie in der Metropolregion auch mit Blick auf die Versorgung in den Teilregionen?

CCC-N: Bereits jetzt werden etwa 50% der neudiagnostizierten Krebspatienten in Niedersachsen in zertifizierten Zentren versorgt, davon allein 15% der neudiagnostizierten Patienten an MHH und UMG. Ein zentrales Anliegen des CCC-N ist es, diesen Anteil sowohl an den beiden Standorten UMG und MHH, als auch in der Fläche Niedersachsens zu erhöhen, da Krebspatienten enorm von der Behandlung in zertifizierten Strukturen profitieren.  Ein wichtiges Ziel unseres Spitzenzentrums ist die Entwicklung von Strukturen, die eine stetige Verbesserung sowohl der medizinischen und pflegerischen Behandlungsqualität, als auch der Behandlungssicherheit für unsere Patienten sicherstellen. Hierzu haben wir unsere „Qualitätsoffensive CCC Niedersachsen“ aus der Taufe gehoben, in der alle unsere Kooperationspartner sowie Patientenvertreter beteiligt sind. Wir haben das gemeinsame Ziel, strukturelle und inhaltliche Maßnahmen zur Sicherstellung einer bestmöglichen Krebsmedizin in Niedersachsen zu entwickeln.  

GesundheIT: Welche weiteren Schritte sind in der Region notwendig, damit möglichst viele Menschen in unserer Region davon profitieren? 

CCC-N: Wir streben eine Harmonisierung von Behandlungsprozeduren an: die Entwicklung von Patientenpfaden, aber auch gemeinsame Aus- und Weiterbildungsstrukturen. Besonderes Augenmerk wird das CCC-N in den kommenden Jahren auf die Entwicklung struktureller Maßnahmen zur Behandlung bisher unterversorgter, vor allem ländlicher Regionen und Patientengruppen legen. Die schon bestehenden engen Kooperationen zu den zertifizierten Onkologischen Zentren in Niedersachsen, insbesondere Braunschweig und Oldenburg, werden weiter intensiviert. Die Verbesserung der supportiven – also unterstützenden – Angebote für Krebspatienten in Niedersachsen steht im Fokus der multidisziplinären Versorgung, u.a. koordinierte Beratungsangebote durch speziell ausgebildete onkologische Fachpflegekräfte, Ernährungsberatung, psychosoziale Beratung von Patienten und Angehörigen, Unterstützung von Kindern und Eltern, eine enge Zusammenarbeit und Unterstützung der Selbsthilfegruppen mit Informationsveranstaltungen. Ein sehr wichtiger Punkt ist die Prävention, um Krebserkrankungen zu vermeiden. Kein Rauchen, aber Sport und Bewegung, gesunde Ernährung, regelmäßige Vorsorge gilt es zu stärken. 

GesundheIT: Diese Entwicklung ist ja kein kurzfristiges Ergebnis der Spitzen-Onkologie in der Metropolregion. Wie waren die Schritte der guten Zusammenarbeit zwischen der UMG und MHH und wie ergänzen sich beide gleichberechtigten Partner hier?

CCC-N: Der Beginn der gemeinsamen Initiative reicht in den Sommer 2018 zurück. In einem gemeinsamen Sondierungsgespräch zwischen Deutscher Krebshilfe, Minister Thümler und den beiden universitären Standorten wurde die mittel-/norddeutsche Lücke in der Verteilung der Onkologischen Spitzenzentren thematisiert. Es bestand Einigkeit, dass hier eine gemeinsame Entwicklung angestoßen werden sollte. Um die notwendigen Entwicklungen in unserem Land zu ermöglichen, hat das Ministerium für Wissenschaft und Kultur Niedersachsen den gemeinsamen Weg mit einer Finanzierung unterstützt, die im Erfolgsfall für mind. 5 Jahre zugesichert wurde. Das hat es beiden Standorte gemeinsam ermöglicht, die umfangreichen Vorgaben der Deutschen Krebshilfe in mehr als 20 Kategorien kurzfristig zu adressieren. Auf dieser Basis haben MHH und UMG einen Strategieplan aufgestellt, der gemeinsame Organisations- und Leitungsstrukturen, Workshops zu zahlreichen Themen von Forschung, Bildung und Krankenversorgung, die Einrichtung mehrerer thematischer Arbeitsgruppen und wichtige Meilensteine für die Entwicklung hin zu einem Spitzenzentrum enthielt. Es ist beiden Standorten gelungen, innerhalb kürzester Zeit z.B. gemeinsame Studiengruppen neu zu initiieren, eine Studienplattform aufzubauen, eine Veranstaltungs-App zu implementieren und neue Formen der Einbeziehung von Patienteninteressen umzusetzen. Als wesentlicher Meilenstein wurde im November 2019 offiziell das gemeine CCC Niedersachsen als standortübergreifende Einrichtung der beiden Universitätskliniken gegründet, dem inzwischen auch zahlreiche nichtuniversitäre Partner aus unserem Bundesland und angrenzenden Regionen als beratende Mitglieder angehören. 

GesundheIT: Wie weit ist die digitale Transformation der Onkologie und welche Entwicklungen sind hier neben Diagnostik und Entscheidungsunterstützung besonders hervorzuheben – vor allem auf dem Weg von Echtzeitdaten hin zu Vorhersagen? 

CCC-N: Die digitale Transformation der Onkologie hat erst begonnen – zu unterschiedlich sind historisch gewachsene standortbezogene Besonderheiten und Datenherkunft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) startete seine Medizininformatik-Initiative und mit rund 30 Millionen Euro wird das Konsortium HiGHmed finanziert, das mit Hannover, Göttingen und Heidelberg drei international führende und komplementär aufgestellte Standorte der Universitätsmedizin verbindet. Das CCC-N hat als Partner im HiGHmed Konsortium damit begonnen, Datenformate zu vereinheitlichen und standortübergreifend zu operationalisieren. Die beiden Standorte des CCC-N wollen die Dokumentation ihrer Patienten über ein gemeinsames System organisieren. Auch die Biobanken der beiden Zentren kooperieren und verfügen über gemeinsame Tools zur Abfrage von Proben und Patientendaten. Die größten Fortschritte werden im Bereich der Diagnostik und Entscheidungsunterstützung erzielt,  z.B. durch die Digitalisierung pathohistologischer Präparate im Routineeinsatz der Krankenversorgung mit Einsatz künstlicher Intelligenz, die Erstellung maschinenlesbarer strukturierter Befunde, mit denen Daten ohne Zwischenschritt fehlerfrei an das zentrale Datenregister übergeben werden können, oder die softwaregestützte teilautomatisierte Datenrecherche beim Molekularen Tumorboard. Die Nutzung von Echtzeitdaten (z.B. von Daten, die über smarte devices von den Patienten fortlaufend und direkt übermittelt werden können) ist zwar ein definitives längerfristiges Ziel, das aber aufgrund der Komplexität der damit verbundenen Themen (Datenschutz, Patientenrechte, IT etc.) ohne externe Unterstützung und innovative technische Lösungen allein aus dem CCC-N heraus nicht absehbar realisiert werden kann.  

GesundheIT: Wie kann die Wertschöpfung in der Metropolregion von Ihrem Leuchtturmprojekt profitieren, z.B. durch mehr StartUps, Ausgründungen aus der Wissenschaft oder die Ansiedlung neuer Unternehmen? 

CCC-N: Durch die Auszeichnung als onkologisches Spitzenzentrum hat die Krebsmedizin in Niedersachsen auch in der Öffentlichkeit den ihr aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung gebührenden Rang erhalten. Implizit damit verbunden ist der Auftrag an die zentralen Stakeholder, auch die Regionen und das Land Niedersachsen, dieses Thema weiter zu fördern und zu vertiefen. Dies kann nur durch verstärkte gemeinsame Anstrengungen zu Innovationen und Investitionen erfolgreich gelingen, birgt aber zugleich auch eine immense Chance für die Metropolregion, da es sich bei der Biomedizin um einen der weltweit größten Wachstumsmärkte handelt und im CCC-N zahlreiche Bereiche aus Grundlagenforschung, klinischer Forschung, Medizintechnik, Robotik, IT involviert sein werden. Wünschenswert wäre eine strategische Allianz aus öffentlichen und industriellen Partnern, von der mittelfristig wichtige Impulse zur Verstärkung des Hightech-Standortes Niedersachsen hervorgehen könnte.

GesundheIT: Herzlichen Dank für Ihre Zeit!

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