Seit gut sechs Monaten ist Silvia Nieber neue und alleinige Geschäftsführerin der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg GmbH. Wir sprachen mit der 62-Jährigen über ihre Visionen für die Metropolregion …
Frau Nieber, wie würden Sie sich selbst beschreiben?
Ich bin engagiert, habe eine ausgewachsene Hands-on-Mentalität, bin neugierig und immer an fortschrittlichen Entwicklungen interessiert.
Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?
Im Vordergrund steht für mich die Frage, wie wir als Metropolregion nachhaltiger werden können – das ist meine intrinsische Motivation. Fakt ist: Wir müssen uns schneller verändern und dafür braucht es Innovationen. In unserer Metropolregion ruht ein ungeheures Potenzial. Wir schaffen mehr als 55 Prozent des niedersächsischen Bruttoinlandsprodukts. Das verdanken wir zum einen den großen Playern der Automobilbranche, aber auch den angegliederten Wertschöpfungsketten.
Zuletzt waren Sie von 2011 bis 2019 hauptamtliche Bürgermeisterin der Hansestadt Stade …
… die im Übrigen durchaus Parallelen zur Metropolregion aufweist. Beide Standorte verfügen über eine starke Forschungslandschaft und damit auch ein ungeheures Innovationspotenzial. In Stade sitzen viele Industrieunternehmen aus den Bereichen Chemie und Luftfahrt – in der Metropolregion sind insbesondere die Automobilindustrie, aber auch das Gesundheitswesen stark ausgeprägt. Der Mittelstand prägt beide Regionen.
Wie oft haben Sie damals schon aus Stade in die Metropolregion geblickt?
Ich kenne Niedersachsen sehr gut durch die langjährige Mitgliedschaft im Präsidium des Niedersächsischen Städtetages. Mein Blick ging in dieser Zeit häufiger in die Metropolregion Hamburg. Es hat mich immer wieder fasziniert, wie viele auch finanziell kleinere Projekte dort umgesetzt wurden und wie diese die Weiterentwicklung der einzelnen Standorte fördern. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Metropolregion das Rad nicht neu erfinden müssen und gerade von größeren Metropolen lernen können.
Wie politisch ist Ihr aktuelles Amt?
Es schadet nicht, zu wissen, wie kommunale Entscheidungs- und Handlungsprozesse funktionieren und vor welchen Herausforderungen kleinere und größere Städte sowie Landkreise stehen. Denn ein gewisses Gespür für die jeweiligen Belange und Auslastungen der (Ober-)Bürgermeister:innen und Landrät:innen erleichtert die Arbeit enorm. Vor meiner Station in Stade war ich mehr als zehn Jahre Bürgermeisterin in Bad Münder. Ich weiß also auch wie man sich als kleine Kommune in einem Landkreis fühlt. Dementsprechend kann ich Themen mit Fingerspitzengefühl angehen.
„In der Metropolregion gibt es ein enormes Potenzial – wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell, touristisch“, erklärten Sie im Rahmen Ihres Amtsantritts. Warum bekommen wir die Stärken unserer Region nicht nach außen transportiert?
Mein Eindruck ist, dass uns unser norddeutsches Understatement dabei ein wenig im Weg steht. Beim Standortmarketing auf der Expo Real funktionieren das Zusammenspiel und die Repräsentation beispielsweise sehr gut. Die Real Estate Arena wächst in 2023 und es werden sich unter dem Dach der Metropolregion zehn Partner präsentieren (im Vorjahr waren es vier). Die für 2024 geplante neue Gesundheitsmesse digitalhealth.pro soll das gesamte Ökosystem der digitalen Gesundheitswirtschaft darstellen. In den beiden Formaten sehe ich viel Potenzial, sie müssen aber erst noch stärker an die Wirtschaft und Wissenschaft herankommen. Die AWO in Braunschweig und Hannover wäre unter anderem eine verbindende Klammer, in die auch die Gesundheitsregion Göttingen/Südniedersachsen gehört. Aber vielleicht sollten wir auch über Messen hinaus überlegen, eine gemeinsame Imagekampagne zu starten.
Wie könnte diese aussehen?
Elemente einer Imagekampagne sind durch unsere jetzigen und zukünftigen Aktivitäten bereits vorhanden, nur müssen sie noch besser nach außen kommuniziert werden. Es geht auch darum, weitere Wege als die genannten Messen zu finden, um die gesamte Metropolregion noch bekannter zu machen. Bei unserer enormen Wirtschaftskraft und mit fünf DAX Unternehmen ist auf jeden Fall „Think big“ und weniger norddeutsches Understatement wichtig.
Neben dem Standortmarketing ist die Förderung der Digitalisierung von Medizin und Pflege ein Anliegen der Metropolregion GmbH.
In diesem Bereich funktioniert die Zusammenarbeit der regionalen Player übrigens außerordentlich gut. Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und die Universitätsmedizin Göttingen bündeln im Comprehensive Cancer Center ihr Know-how. Das Braunschweiger Helmholtz Institut und die MHH arbeiten gemeinsam am Center for Individualised Infection Medicine. Ebensolche Kooperationen möchten wir weiter forcieren, denn nur aus der Zusammenarbeit und der Gemeinschaft generieren wir Mehrwert. Mein Ziel ist eine bekanntere Gesundheitsregion im Dreieck Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg, die besser vermarktet werden kann. Zum Beispiel in der Wissenschaftsallianz zwischen TU Braunschweig und Universität Hannover, im Exzellenzcluster Quantentechnologie und Smart BioTechs, gibt es das bereits. Durch gebündelte Kompetenzen sollen mehr Forschungsgelder in die Metropolregion fließen.
Das ist auch ein Anliegen des Health Hacks, der nun in die vierte Runde geht …
Beim Hackathon treffen Kompetenzen und Ideen aus aller Welt in unserer Region zusammen. Am Ende helfen uns diese Impulse, sowohl in der Medizin als auch in der Pflege weiterzukommen. Man muss sich vor Augen führen: Die Gesundheitswirtschaft macht im Bundesdurchschnitt etwa 15 Prozent der Wertschöpfung aus. In unserer Region liegt der Durchschnitt sogar bei 18 Prozent. Sie ist ein wichtiger Arbeitgeber und schafft Werte.
Wo sehen Sie im Feld der Mobilität derzeit den größten Handlungsbedarf?
Im Prinzip gibt es drei Punkte: Der erste betrifft den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Darüber muss ich nicht mit den Städten Hannover, Braunschweig und Wolfsburg sprechen – die können das wirklich prima – sondern überlegen, was kleinere Kommunen machen können. Aktuell versuchen wir die Anliegen zu bündeln, damit nicht jede:r einzelne (Ober-)Bürgermeister:in sich Gedanken machen muss und die Mitarbeitenden der niedersächsischen Landesverkehrsbehörde nicht in jede Kommune fahren müssen.
Und der zweite Punkt?
Der betrifft den Schienenverkehr. In der Metropolregion gibt es über 5.000 Kilometer Schienennetz. Warum bekommen wir die Güter nicht von der Straße auf die Schiene? Das möchte ich im Austausch mit Unternehmen und Einrichtungen herausfinden. Denn letztendlich hilft das auch der Stadt-Land-Mobilität, Anliegen Nummer drei.
Können Sie das konkretisieren?
Es ist eine große Herausforderung, eine akzeptierte klimafreundliche Mobilität außerhalb der Metropolen zu entwickeln. Im Zentrum steht die Frage, was wir brauchen, damit Pendlerströme nachhaltiger und garantiert zu ihrer Arbeit gelangen. Braucht es autonom fahrende Angebote, multimodale Hubs, eine bessere Abstimmung zwischen Bus und Bahn? In der Metropolregion gibt es viele innovative Partner, mit denen wir Lösungen dazu entwickeln können. Angesichts des Klimawandels müssen wir eine Mobilitätswende schaffen und den Status quo deutlich verbessern. In Hannover komme ich zu Fuß oder mit den Öffis teilweise schneller voran als mit dem Auto. Meine Vision ist es, eine Modellregion zu entwickeln, in der man aus dem Harz oder aus Helmstedt ohne Weiteres nach Hannover pendeln kann – wenn möglich sogar mit dem ÖPNV. Denn bislang ist es doch so: Sobald sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Stadtgrenze überqueren, wird es oft kompliziert.
Das klingt nach einer Mammutaufgabe …
Das macht nichts. In meiner Freizeit wandere ich gerne und Sie wissen doch, wenn ich einen Gipfel erklimmen möchte, muss ich losgehen. Der Aufstieg erfolgt in Serpentinen und ich komme dem Ziel Schritt für Schritt näher. Erreichen werde ich es in den drei Jahren meiner Amtszeit nicht, aber vielleicht schaffe ich einen Teil der Strecke und kann die schönen Blumen am Wegesrand nicht nur von unten, sondern auch von oben betrachten.
Würden Sie sich als ehrenamtliche Bürgermeisterin der Metropolregion bezeichnen?
In einem Ehrenamt habe ich einen zu geringen Gestaltungsspielraum. Ich sehe mich eher als Interessensvertreterin und arbeite am positiven Image der Visitenkarte unserer Metropolregion. Ich wünsche mir, dass wir uns noch stärker als Interessengemeinschaft sehen und jedes Mitglied einen Benefit aus der Stärke der Metropolregion ziehen kann.
Ein Interview von Stephanie Joedicke im Auftrag von Wirtschaftsnachrichten und Services für die Region - Standort38.de