Virtual Reality und Digitale Zwillinge in der Lehre und Ausbildung – Halbzeit von MetroVRsity

Veröffentlicht: 9. Dezember 2025
Der virtuelle Campus im digitalen Zwilling (Bild: VictoryXR)

Stille im Hörsaal, leere Plätze. Statt über den tatsächlichen Campus zu spazieren, tauschen sich die Studierenden aus und arbeiten kollaborativ – alles von zuhause im Digitalen Zwilling ihrer Hochschule. Möglich machen das VR-Brillen, die über den virtuellen Campus führen und neue Möglichkeiten in der Lehre erschließen: Theorie kann dabei direkt in der Praxis erprobt werden – beispielsweise die Weiterentwicklung eines robotischen Projektes oder ein Fremdsprachentraining in realistischen Gesprächssituationen, erzeugt durch KI.

Zum Wintersemester 2024/25 hat die Metropolregion mit der Region Hannover, VictoryXR und vier weiteren Praxispartnern das Projekt MetroVRsity gestartet. Dazu gehören die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, die Technische Universität Clausthal, die Georg-August-Universität Göttingen und das Klinikum Region Hannover. Zur Projekthalbzeit haben wir uns mit Professor Reinhard Gerndt von der Ostfalia über die bisherigen Erfahrungen ausgetauscht.

Prof. Reinhard Gerndt (Foto: privat)

Professor Reinhard Gerndt ist Internationalisierungsbeauftragter, Prüfungsausschussvorsitzender Digital Technologies, Fakultät Informatik an der Ostfalia-Hochschule für angewandte Wissenschaften. (Foto: privat)

Redaktion: Das Projekt MetroVRsity läuft seit rund einem Jahr. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Prof. Reinhard Gerndt: Das Projekt hat wertvolle Impulse zur Unterstützung und Flexibilisierung der Lehre durch Virtualisierung beigetragen. Aktuell dient das Projekt Studierenden dazu sich mit XR-Techniken und Anwendungen vertraut zu machen und neue Ansätze zu erarbeiten und zu testen.

Redaktion: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Studierenden und Lehrenden erhalten?

Prof. Reinhard Gerndt: Die Rückmeldungen von Studierenden sich die Potenziale von XR, auch in eigenen Projekten, erarbeiten zu können sind sehr positiv.

Redaktion: Was kann die XR-Lehre aus Ihrer Sicht leisten, was klassische Präsenz- oder Onlineformate nicht können?

Prof. Reinhard Gerndt: XR-Lehre erlaubt eine Verbindung von Präsenz- und Online-Lehre. Sie erlaubt die Flexibilisierung und Individualisierung des Lernens wie in der Online-Lehre und verbindet sie mit der Interaktion in der konkreten Lehrsituation fast wie in der Präsenzlehre. Auch verbessert die XR-Lehre die Nutzung physikalischer Aufbauten, z.B. hinsichtlich Verfügbarkeit und Sicherheit.

Redaktion: Können Sie sich vorstellen, dass die digitalen Zwillinge und VR-Brillen auch nach Projektende dauerhaft in der Lehre eingesetzt werden?

Prof. Reinhard Gerndt: Es ist geplant, die erarbeiteten Ergebnisse auch weiterhin in der Lehre einzusetzen und auszubauen.

Redaktion: Der Aufbau digitaler Zwillinge und die Ausstattung mit VR-Hardware sind kostenintensiv. Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit solche Technologien flächendeckend an Hochschulen ankommen können?

Prof. Reinhard Gerndt: Voraussetzung für einen flächendeckenden Einsatz ist insbesondere die Möglichkeit für Dozentinnen und Dozenten die Inhalte selbst und effizient gestalten zu können. Entsprechende Ergänzungen zu den üblicherweise genutzten Lernmanagementsystemen (z.B. Moodle oder Stud.IP) wären hilfreich. Darüber hinaus bedarf es auch einfach zu nutzender Werkzeuge zur Erstellung der XR-Elemente. Ein externer Dienstleister würde hier nicht mit dem Lehrbetrieb skalieren. Weiterhin sollte eine kostengünstige Hardware in der Größenordnung von wenigen hundert Euros Anschaffungskosten, genutzt werden. Eine enge Mehrfachnutzung der Endgeräte erscheint z.B. aus Gründen der Hygiene und der Verfügbarkeit problematisch. Gleichzeitig wäre eine weniger Immersive Nutzungsmöglichkeit über Smartphone, Tablett oder Rechner vorzusehen.

Redaktion: Wenn Studierende künftig ortsunabhängig lernen können: Was bedeutet das für klassische Campus-Standorte, überlastete Hochschulstädte oder internationale Studierende?

Prof. Reinhard Gerndt: Ein ortsunabhängiges Lernen erfordert erst einmal entsprechende Bandbreiten, Verfügbarkeit und Verlässlichkeit in der IT-Infrastruktur.  Da wäre momentan noch Luft nach oben. Allerdings könnten diese Einschränkungen auch durch technische und didaktische Innovationen bei den Endgeräten und den produzierten Materialien abgemildert werden. Für die Internationalisierung der Hochschulen bietet die Technologie ein immenses Potential.

Redaktion: Inwiefern bereitet MetroVRsity Studierende gezielter auf die Anforderungen der Wirtschaft vor?

Prof. Reinhard Gerndt: Aus unseren Industriepartnerschaften kennen wir zahlreiche Aktivitäten, in denen Unternehmen XR-Ansätze untersuchen. Für die breite Anwendung scheinen sich aber bisher nur wenige konkrete Anwendungen zu etablieren. Hier könnte eine bessere Vorbereitung der Absolventinnen und Absolventen ein erhebliches wirtschaftliches Betätigungsfeld erschließen.

Redaktion: Gab es einen Moment im Projektverlauf, der Sie persönlich besonders beeindruckt oder berührt hat?

Prof. Reinhard Gerndt: Die technische und gestalterische Kreativität vieler Studierender, sowie deren Initiative hebt sich positiv von manchen anderen Lehrveranstaltungen ab.

Redaktion: Welche Rolle spielen regionale Partner wie das VRECH oder internationale wie VictoryXR in der Umsetzung und was lernen die Hochschulen daraus für künftige Innovationsprojekte?

Prof. Reinhard Gerndt: Kommerzielle Partner für die Kernbereiche der Hochschulen haben sich, nach meiner Ansicht, nicht bewährt. Hochschulen verfügen üblicherweise über eine gute technische Grundausstattung. Fachliche Inhalte kommen aus der Forschung. Moderne didaktische Methoden und Techniken erfordern den direkten Einfluss der Dozentinnen und Dozenten. Der umfangreiche Einsatz von Dienstleistern in diesem Kernbereich der Hochschulen scheint in der Hochschulfinanzierung, zu Recht, nicht vorgesehen zu sein.

Redaktion: Was wünschen Sie sich für die Zukunft von MetroVRsity und welche Impulse sollte das Projekt Ihrer Meinung nach auch über die Region hinaus setzen?

Prof. Reinhard Gerndt: Das Projekt sollte Hochschulen und insbesondere interessierten Lehrenden Experimentierräume für die Weiterentwicklung der XR-Lehre schaffen und Best-Practice Beispiele generieren.

Redaktion: Vielen Dank für das Interview!

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