Staatssekretär besucht PLRI im Rahmen von KI-Themenwoche

Veröffentlicht: 31. Mai 2022
Kategorie:
Bildquelle: Gerald Stiller, PLRI

Im Peter L. Reichertz Institut (PLRI) testete Stefan Muhle vom niedersächsischen Wirtschaftsministerium verschiedene Technologiedemonstratoren und informierte sich über diverse KI-Projekte. Dazu zählte auch das Zukunftslabor Gesundheit des Zentrums für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN).

Mit einem vielseitigen Programm aus Vorträgen und Technologiedemonstratoren begeisterten die Wissenschaftler*innen des PLRI und des Zukunftslabors Gesundheit den Staatssekretär. Inhaltlich ging es sowohl um Grundlagen zur KI, um KI-Entwicklungen im Test als auch um Entwicklungen, die bereits in der Gesundheitsvorsorge eingesetzt werden.

Im Projekt ELISE (Ein Lernendes und Interoperables, Smartes Expertensystem für die pädiatrische Intensivmedizin) geht es z. B. um ein Entscheidungsunterstützungssystem, das Kinderärzt*innen zukünftig bei der frühzeitigen Erkennung von lebensbedrohlichen Entzündungsreaktionen bei ihren Patient*innen unterstützen soll. Mit einer Erweiterung des Systems um Echokardiographiedaten soll zukünftig die KI-basierte Auswertung von Bilddaten realisiert werden. Dies kann der Therapieempfehlung bei bestimmten Herzerkrankungen dienen.

Mit dem Service- und Assistenzroboter „Lio“, dessen Einsatz in der Klinik angestrebt wird, konnte der Staatssekretär eine fertige Entwicklung anfassen und damit interagieren. In diesem Zusammenhang entstand eine Diskussion darüber, wie menschlich solch ein Roboter sein kann und darf. Darüber hinaus probierte Staatssekretär Muhle ein Exoskelett zur Entlastung Pflegender bei körperlich schwerer Arbeit aus. Sowohl „Lio“ als auch das Exoskelett werden im Rahmen des Projektes Pflegepraxiszentrum Hannover getestet. Außerdem kam das AGT-Reha System zur Telerehabilitation von Patient*innen mit Schulterbeschwerden zum Einsatz. Mit Projektleiter Dr. Klaus-Hendrik Wolf diskutierte Staatssekretär Muhle über die Gamification Aspekte im AGT-Reha Projekt.

Grundlagen zur Biomarkersuche auf Netzwerkebene wurden in einem kurzweiligen Vortrag anschaulich erklärt. Der AIMe Standard – ein Standard für KI in der Biomedizin – kann zukünftig der Qualitätssicherung biomedizinischer KI-Forschung dienen. Eine Publikation von Prof. Tim Kacprowski dazu erschien kürzlich in Nature Methods. „Wenn es gut läuft trägt jeder seine Forschung zur KI in der Biomedizin zukünftig im AIMe Register ein" ergänzte Prof. Kacprowski den Postervortrag seiner Doktorandin Lisa-Marie Bente.

Anhand seiner neu eingeworbenen Nachwuchsgruppe "iXplain" erläuterte Prof. Steffen Oeltze-Jafra die Erklärbarkeit von KI als essentielle Voraussetzung für Vertrauen in und Akzeptanz von KI in der Medizin. Staatssekretär Stefan Muhle ergänzte, dass die Erklärbarkeit von KI und die Vernetzung dazu in Forschung und Praxis allgemein ein wichtiges aktuelles Thema ist.

Ein weiteres geplantes Forschungsprojekt im PLRI fokussiert das Lernen eines Modells aus den Daten mehrerer Institutionen, ohne dass diese Daten austauschen. Zum Abschluss des Besuchs besichtigte Staatssekretär Stefan Muhle noch das Forschungsauto des PLRI. Der Staatssekretär konnte im Forschungsauto seine Herzfrequenz und seine Atemfrequenz messen lassen. Zahlreiche Sensoren, wie EKG Sensoren und eine Kamera in Lenkrad und Gurt machen das Auto zum diagnostischen Raum. Der Staatssekretär zeigte sich begeistert, dass der einstige Fahrsimulator nun zum fertigen Produkt mit Straßenzulassung geworden ist.

Quelle: Stefan Muhle begeistert sich für KI-Projekte - ZDIN

Ansprechpartnerinnen für redaktionelle Rückfragen:

Lena Elgert       
Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover          
Carl-Neuberg-Straße 1 
30625 Hannover            
Tel.: 0176 15322335     
E-Mail: lena.elgert@plri.de        
www.plri.de

Kira Konrad B. A.           
Marketing & Kommunikation    
Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN)            
Am OFFIS – Institut für Informatik, Escherweg 2, 26121 Oldenburg – Germany  
Tel: 0441 9722-435      
E-Mail: kira.konrad@zdin.de     
www.zdin.de

Wie entstehen Krebserkrankungen? Wie verändert die zelluläre Zusammensetzung eines Tumors dessen maligne Eigenschaften? Ein deutsch-dänisches Team unter der Leitung von Professor Matthias Mann hat nun die wegweisende Technologie „Deep Visual Proteomics“ entwickelt. Sie bietet zellspezifische, protein-basierte Informationen und hilft Krebserkrankungen zu analysieren. Die Technologie ist in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology beschrieben und demonstriert ihr Potenzial in einer erstmaligen Anwendung auf Krebszellen.

Proteine sind die wichtigsten Puzzlestücke für eine Vielzahl von Krankheiten. Sie werden auch als die „molekularen Arbeitspferde der Zelle“ bezeichnet. Ihre korrekte Funktion entscheidet über die Funktionsfähigkeit einer Zelle und damit auch über die eines Individuums.

Matthias Mann erklärt: „Wenn etwas in unseren Zellen nicht richtig funktioniert und wir krank werden, kann man sich sicher sein, dass Proteine auf unterschiedlichste Weise beteiligt sind. Aus diesem Grund kann die Kartierung der Proteinlandschaft uns dabei helfen folgendes herauszufinden: Warum konnte sich ein Tumor in einem bestimmten Patienten entwickeln? Welche Schwachpunkte hat dieser Tumor und welche Behandlungsmethode ist vorteilhaft?”

Angeregt durch diese Fragen hat ein fachübergreifendes Forschungsteam, unter der Leitung von Matthias Mann am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie bei München und am Zentrum für Proteinforschung (CPR) der Novo Nordisk Stiftung, an der Universität von Kopenhagen in Dänemark, eine innovative neue Methode entwickelt. In der Studie werden visuelle Merkmale eines Tumors mit einer Deep-Profiling-Technik bestimmt, um Proteine in abnormen Zellgruppen zu analysieren, die an die umgebenden gesunden Zellen angrenzen. Diese Herangehensweise kann Forschern einen noch nie dagewesenen Einblick in Krebserkrankungen geben und Onkologen darin unterstützen, gezielte Strategien für die Diagnose und Therapie zu erstellen.

Deep Visual Proteomics vereint vier Technologien

„Deep Visual Proteomics” integriert zum ersten Mal die Vorteile vier verschiedener Technologien in einer einzigen Methodik. Erstens, moderne Mikroskopie erstellt hochauflösende Gewebekarten. Zweitens, maschinelles Lernen und Algorithmen künstlicher Intelligenz werden verwendet, um Zellen hinsichtlich ihrer Form, Größe oder Protein-Lokalisierung zu klassifizieren, bevor einzelne Zellen mittels hoch akkurater Laser-Mikrodissektion gesammelt werden. Drittens, nach dem Sortieren normaler oder verschiedener, erkrankter Zellgruppen, werden tausende von Proteinen innerhalb dieser Zellpopulationen gleichzeitig mittels ultra-sensitiver Massenspektrometrie bestimmt. Viertens, anspruchsvolle bioinformatische Analysen erzeugen Proteinkarten, die eine räumliche Auflösung von Proteinen bei hochkomplexen Krankheiten wie Krebs ermöglichen. Derartige Proteinlandkarten sind für Kliniker wertvolle Hilfsmittel, um die Mechanismen von Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen.

„Unser neues Konzept ‚Deep Visual Proteomics‘, könnte ein Paradigmenwechsel für die molekulare Pathologie in der Klinik werden. Mit dieser Methode nehmen wir eine Gewebeprobe mit Tumorzellen und können innerhalb kürzester Zeit und mit geringem Aufwand tausende Proteine identifizieren. Diese Proteomanalysen enthüllen Mechanismen, welche die Tumorentwicklung antreiben. Somit können aus einem einzigen Gewebeschnitt einer Patienten-Biopsie direkt neue therapeutische Ziele abgeleitet werden. Es zeigt einen Kosmos an Molekülen innerhalb dieser Krebszellen auf”, sagt Andreas Mund, außerordentlicher Professor am CPR und Teil des Teams um Matthias Mann.

Relevanz für die klinische Pathologie

In der Studie konnten die Forschenden „Deep Visual Proteomics” auf Zellen von Patienten mit Speicheldrüsen- und Hautkrebs anwenden. Lise Mette Rahbek Gjerdrum, Fachberaterin und außerordentliche Professorin für klinische Forschung der Abteilung für Pathologie am Seeland Universitätskrankenhaus in Roskilde und der Abteilung für klinische Medizin an der Universität Kopenhagen beschreibt: „Diese einzigartige Methode kombiniert die Analyse der Gewebearchitektur mit der Analyse des Proteoms, die für die ausgewählten Zellen spezifisch sind. Wir konnten kürzlich einen klinisch hochkomplexen Fall mit Hilfe der ‚Deep Visual Proteomics‘-Analyse diagnostizieren.“

Dr. Fabian Coscia, einer der beiden Erstautoren der Studie und seit Juni 2021 Leiter der Forschungsgruppe „Spatial Proteomics" am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin sagt: „Die Technik kann auch für die Charakterisierung anderer Tumorarten in ähnlicher Weise angewendet werden." Sein Ziel ist es, mit Hilfe der archivierten Daten der Biobanken neue Angriffspunkte für individuelle Krebstherapien offen zu legen und dadurch auf die Patient*innen zugeschnittene Therapieformen zu entwickeln − auch für bisher therapieresistente Tumore.

Es sind nicht nur Krebserkrankungen, die mittels „Deep Visual Proteomics” besser verstanden werden können. Die Methodik kann auch auf andere Krankheiten angewendet werden. „Man kann beispielsweise die Proteine einer Nervenzelle analysieren, um herauszufinden, was genau in einer Zelle im Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson passiert", so Coscia weiter.

„Durch die Kombination von Mikroskopie, künstlicher Intelligenz und hochempfindlicher, massenspektrometrie-basierter Proteomik, haben wir eine sehr leistungsfähige Methode entwickelt, um die molekulare Verschaltung von gesunden und kranken Zellen zu verstehen. Das könnte Ärzt*innen dabei helfen, Ziele für zukünftige Medikamente und Diagnosen zu identifizieren’’, schließt Matthias Mann ab.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Matthias Mann            
Proteomics und SignaltransduktionMax-Planck-Institut für Biochemie        
Am Klopferspitz 18       
82152 Martinsried

E-Mail: mmann@biochem.mpg.de

Quelle: Neue Methode revolutioniert Krebsdiagnose (idw-online.de)

Weitere Informationen:

https://www.biochem.mpg.de/mann - Forschungsseite Prof. Dr. Matthias Mann

https://www.biochem.mpg.de/mann-press - Presseseite Prof. Dr. Matthias Mann

Sie wurde kürzlich von Prof. Karl Lauterbach in die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung berufen. Seit der letzten Krankenhaus-Strukturreform im Jahr 2002 haben sich viele Themen angestaut. Die Coronapandemie scheint den Blick auf notwendige Strukturen ebenfalls verändert zu haben. Wir durften mit Frau Prof. Martina Hasseler reden.

GesundheIT: Krankenhausversorgung, Facharztversorgung, Landarztquote - müssten wir nicht eigentlich von medizinischer Versorgung sprechen und folglich vernetzter denken?

Hasseler: Unser Problem in Deutschland ist, dass wir Gesundheitsversorgung nur ärztlich und in ICD-Krankheitsdiagnosen denken. Es wird vergessen, dass sogar für das Erstellen von Krankheitsdiagnosen wie auch das Umsetzen einer Therapie mehrere Gesundheitsberufe erforderlich sind. Wir gehen in Deutschland viel zu sehr von einer einzigen Berufsgruppen aus und vergessen dabei, dass eine bedarfsangemessene Gesundheitsversorgung nur interdisziplinär erfolgen kann. Eine Krankheitsdiagnose sagt erst mal wenig darüber aus, dass ein Mensch in gesundheitlicher und pflegerischer Versorgung braucht. Dafür brauchen wir ein Umdenken in Deutschland: es benötigt viele gut ausgebildete Gesundheitsberufe, die nur gemeinsame eine gute Gesundheitsversorgung erreichen können. Es geht also weniger um medizinische Versorgung als mehr um eine interdisziplinäre bedarfsangemessene Gesundheitsversorgung.

GesundheIT: Welche unterschiedlichen Herausforderungen sehen Sie in der Krankenhausversorgung und wie würden Sie priorisieren?

Hasseler: Die Regierungskommission hat letzte Woche ihre Arbeit begonnen. Aber sicherlich werden die Fragen der Finanzierung der Krankenhausleistungen, Abbau oder Nicht-Abbau von Krankenhäusern, regionale Krankenhausversorgung und weitere Themen mehr auf uns zukommen. Da ich die einzige Pflegewissenschaftlerin in der Regierungskommission bin, die auch die Praxis wie auch die Studienlagen aus anderen Ländern zum Mehrwert professioneller Pflege gut kennt, werde ich die Relevanz gut ausgebildeter Pflegeberufe, die in ausreichender Anzahl auch in Kliniken beschäftigt sein müssen, verdeutlichen. Bislang werden gut qualifizierte Pflegeberufe in Deutschland als Luxus betrachtet. Dabei zeigen Studienlagen aus dem internationalen Raum, dass gut qualifizierte Pflegeberufen einen hohen Mehrwert für Patienten*innen wie für Krankenhäuser haben. Ich werde auch verdeutlichen müssen, welcher Schaden der Pflegefachpersonalmangel auf allen Ebenen anrichtet, dass dieser nicht durch Pflegehelfer*innen in Krankenhäusern ausgeglichen werden kann.  Leider hat die Einführung des DRG-Systems zur Finanzierung der Krankenhäuser dazu geführt, dass auch hier vergessen wurde, dass eine gute Krankenhausversorgung nur interdisziplinär erfolgen kann. Des Weiteren werde ich versuchen darzustellen, dass bisher auch die Gesundheitsökonomie viel zu linear und eindimensional über die Finanzierung von Krankenhäusern nachdenkt und die Relevanz anderer Berufe nicht integriert.

GesundheIT: Was genau ist unter Deprofessionalisierung der Pflegeberufe zu verstehen? Was können wir von unseren europäischen Nachbarn lernen?

Hasseler: Wir müssen erst mal festhalten: die deutsche Pflegeausbildung ist zwei Stufen unter dem formalen Qualifikationsniveau europäischer Pflegequalifikationsabschlüsse. Während wir es in Deutschland mit dem Pflegeberufegesetz nicht geschafft haben, die deutsche Pflegeausbildung mit der europäischen Pflegeausbildung wirklich gleichzusetzen, entwickeln sich in Europa die Pflegeausbildungen weiter fort. In allen Ländern der EU studieren Pflegeberufe und erlangen mit dem Bachelorabschluss ihre Berechtigung als registrierte Pflegefachperson arbeiten zu dürfen. Deutschland ist in der EU dafür bekannt, noch eine veraltete Pflegeberufeausbildung an Pflegeschulen durchzuführen. Die Deprofessionalisierung der Pflegeberufe ist eine starke Entfachlichung der Pflegeberufe. Sie wird in Deutschland reduziert auf Verrichtungen und erkennt den therapeutischen, präventiven, gesundheitsförderlichen, rehabilitativen Mehrwert der Pflegefachberufe nicht an. Pflegeberufe, die auf akademischen Niveau qualifiziert und in ausreichender Anzahl in den Krankenhäusern arbeiten (Pflepgersonal-Patientenschlüssel) haben das Potenzial, Komplikations- und Sterberaten von Patienten*innen zu reduzieren und Kosten zu sparen. Da wir, wie oben dargestellt, immer noch überwiegen Pflegeausbildungen an Pflegeschulen anbieten, und auch keine Selbstverwaltung der Pflegeberufe und die Finanzierung der Leistungen der Pflegefachberufe nicht in den Sozialgesetzbüchern abgesichert haben, ist die deutsche Pflege bzw. sind die deutschen Pflegeberufe in den letzten 20 bis 30 Jahren deprofessionalisiert worden. Gerade bezogen auf die formalen Qualifikationsniveaus können wir in Deutschland nicht mehr mit der EU und der Welt mithalten. Aber weil es auch kein Leistungsrecht gibt, dass die Fachpflege finanziert, hat professionelle Pflege auch keinen Platz in unserem Gesundheitssystem.

GesundheIT: Kürzlich wurde eine Digitalisierungsstrategie für das deutsche Gesundheitswesen angekündigt. Neu sind solche Vorhaben nicht.  Wo sehen Sie das Potential für digitale Lösungen in der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus und welche Hürden sind abzuräumen?

Hasseler: Das Problem ist, da unsere Entscheidungsträger in unserem System zumeist von einem sehr simplen Verständnis pflegerischer Versorgung ausgehen, dass die Pflegewissenschaft und die Pflegefachlichkeit in der Entwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen in ihren professionellen Prozessen und Leistungen nicht mitgedacht werden. Wie in den Antworten zu Frage 1 bereits ausgeführt, gehen wir Deutschland irrtümlicherweise davon aus, dass eine medizinische Diagnose ausreicht, um eine gute Gesundheitsversorgung zu erreichen. Das tut sie aber nicht. Eine medizinische Diagnose kann allenfalls ein Anfang sein, wenn alle Gesundheitsberufe integriert werden, um dann zu eruieren, welche Versorgungsbedarfe daraus resultieren. Darüber hinaus gibt es aber auch Pflegediagnosen, die in Deutschland gar nicht etabliert sind oder eben die Einschätzung aller anderen Gesundheitsberufe, die für eine gute Gesundheitsversorgung von Bedeutung sind. Für die Pflegefachlichkeit und Pflegeberufe wird eine Digitalisierung nur dann sinnvoll sein, wenn diese den Pflegeprozess in den unterschiedlichen Settings und Sektoren unterstützen. Die Digitalisierung wird in vielen Bereichen die pflegerische Versorgung und den Pflegeprozess verändern. Sie wird aber nicht dafür sorgen, dass wir in Zukunft keine Pflegeberufe mehr benötigen. Wir werden in Zukunft besser ausgebildete Pflegeberufe benötigen, die auch im Bereich der IT und der Digitalisierung qualifiziert sind. Wenn der Pflegeprozess und die Anteile der pflegefachlichen Versorgung in der Digitalisierung von Krankenhäuern nicht mitgedacht werden, sondern immer nur von einer Berufsgruppe aus gedacht wird, besteht die Gefahr, dass eine bedarfsangemessene Digitalisierung für eine gute Patient*innenversorgung nicht erfolgen kann. Die Digitalisierung in den Krankenhäusern wird also nicht den Pflegepersonalmangel beheben, sondern nur die die Bedarfe an gut ausgebildeten Pflegefachpersonen verändern und die Digitalisierung in den Krankenhäusern kann nur gut gelingen, wenn die interdisziplinären Prozesse der Gesundheitsversorgung mitgedacht und zwingend integriert werden. Die Digitalisierung in den Krankenhäusern ist komplexer als manche vermutlich annehmen, wenn sie den  zukunfts- und patienten*innenorientiert entwickelt werden soll.

GesundheIT: Vielen Dank Frau Prof. Hasseler und viel Erfolg bei dieser so wichtigen Aufgabe.

Laut einem Bericht des GKV-Spitzenverbands wurden im Zeitraum vom 1.9.2020 bis zum 30.9.2021 rund 50.000 DiGA ärztlich verordnet oder von den Krankenkassen genehmigt, wovon lediglich knapp 80 Prozent aktiviert wurden. Nur ein Viertel der Anwendungen konnten ihren Nutzen durch einen positiven Versorgungseffekt belegen und wurden dauerhaft ins BfArM-Verzeichnis (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) aufgenommen.* Wir haben mit Dirk Engelmann, Leiter der Techniker Krankenkasse Landesvertretung Niedersachsen über die durchwachsene Bilanz gesprochen.

GesundheIT: Herr Engelmann, Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für diese durchwachsene Zwischenbilanz?

Dirk Engelmann: Zunächst lässt sich feststellen, dass DiGA in den Arztpraxen bisher noch nicht in der Breite angekommen sind. Lediglich vier Prozent aller Ärztinnen und Ärzte haben bislang Rezepte für DiGA ausgestellt (7.000 von 180.000). In der Anwendung besteht offenbar eine große Unsicherheit über die Wirksamkeit und den Nutzen.

Der Nachweis der Wirksamkeit einer DiGA muss meines Erachtens klarer auf das primäre Behandlungsziel ausgerichtet sein. Das ist derzeit nicht gegeben. Um positive Versorgungseffekte von DiGA eindeutig beurteilen und die methodischen Aspekte des Fast-Track-Verfahrens besser nachvollziehen zu können, braucht es klare Nutzenkriterien und eine größere Transparenz der Entscheidungsgründe des BfArM. 

GesundheIT: Das Potential der DiGA ist anscheinend noch nicht vollumfänglich ausgeschöpft, wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Dirk Engelmann: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine der ersten DiGAs im Bereich Migräne wird nach einem Jahr Kostenerstattung wieder aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen, weil der Nutzen nicht nachgewiesen werden konnte. Ohne belegte Wirksamkeit wurde die DiGA 15 Monate von den Krankenkassen erstattet. Bei einem Preis von über 200 Euro Euro sind so für die Kassen Ausgaben in Millionenhöhe entstanden. Es besteht die Gefahr, dass viele Apps den Vertrauensvorschuss nicht einhalten können, den sie im Erprobungsjahr bekommen. Bereits für die Listung beim BfArM muss es eine aussagekräftige Datengrundlage geben. Die bisherigen Anforderungen reichen nicht, um den Nutzen einer App abzuschätzen.

Hersteller müssen also verpflichtet werden, die Nutzungshäufigkeit und Therapieabbrüche nachhaltig zu analysieren und die DiGA an die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen. Die Ergebnisse müssen den Krankenkassen zugänglich gemacht werden und ebenfalls in die Preisdefinition einfließen. Erst wenn klare Regelungen greifen und es eine verlässliche Qualität gibt, werden insb. Ärztinnen und Ärzte breiteres Vertrauen finden, die Akzeptanz wird bei Versicherten und letztliche und Kostenträgern höher und die Anwendung zur Normalität. Wir befinden uns inmitten dieses Suchprozesses, indem auch herausgefunden werden muss, wo ein DiGA Einsatz sinnvoll ist und wo auch nicht. Als TK sind wir Treiberin der Digitalisierung und bringen gute Produkte voran und bei erwiesener Wirksamkeit auch in den Markt.

GesundheIT: Vielen Dank, Herr Engelmann.

*Quelle: Und jetzt, DiGA?: E-HEALTH-COM

Im Städtischen Klinikum Karlsruhe wird der Serviceroboter HolliE im Krankenhausalltag getestet. Er soll in den Aufgabenfeldern Transport, Logistik, interaktive Assistenz und Dokumentation Pflegekräfte entlasten.

An der Testung im Realbetrieb im neuen Betten- und Funktionsgebäude Haus M sind Pflegekräfte und Patienten beteiligt. In einem eigens dafür eingerichteten Zimmer werden Grundfunktionen des 1,6 Meter hohen Roboters von Patienten und Pflegekräften getestet. HolliECares ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt mit einem Volumen von gut 2,6 Millionen Euro unter der Koordination des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP).

HolliE nimmt Pflegekräften wiederkehrende Tätigkeiten ab

Der Serviceroboter kommt in drei verschiedenen Aufgabenfeldern zum Einsatz: HolliE kann bei der Kontrolle von Materialbeständen behilflich sein und Medikamentenschränke befüllen und verwalten. Im Bereich der Pflegeassistenz kann der Roboter gehfähige Patienten zu ihren Untersuchungen begleiten, sowie Patienten zu Bewegungsübungen auffordern und per Tablet anleiten.

Ein weiterer Bereich der Pflege, der viel Zeit in Anspruch nimmt, ist die Wunddokumentation. Auch hier hat HolliE das Potential, Pflegefachkräfte enorm zu entlasten, indem er mittels Sprachsteuerung und integrierter Hardware Bilder anfertigt und alle wichtigen Daten automatisch in die Wunddokumentation übernimmt.

Zweite Testphase für Ende 2022 geplant

„HolliE wurde in Karlsruhe im Forschungszentrum für Informatik (FZI) – House of Living Labs – am KIT entwickelt und verbessert sich stetig. Mittlerweile kann er Serviceaufgaben sicher übernehmen und wird nun bei uns im Klinikum in einer realistischen Mensch-Roboter-Zusammenarbeit in der Pflege getestet“, sagt Prof. Dr. Uwe Spetzger, der 2019 zusammen mit Markus Heming dieses Projekt angeschoben hat. „Für die sichere Navigation in Real-Life-Szenarien in dynamischen Umgebungen wie hier im Krankenhaus ist eine höchstaufwendige Robotersteuerung notwendig“ erklärt Spetzger. „Modernste Technologie und die Implementierung von künstlicher Intelligenz sind notwendig, um die komplexen Entscheidungen und eine angenehme Kollaboration zwischen Mensch und Maschine überhaupt zu ermöglichen“, erläutert Dr. Arne Rönnau, Leiter des FZI Living Lab Service Robotics am KIT.

Neben dem Deutschen Institut für angewandte Pflegforschung (DIP) sind das Forschungszentrum für Informatik (FZI), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die ArtiMinds Robotics GmBH, das AWS-Institut für digitale Produkte und Prozesse (AWSi), das Fraunhofer IOSB sowie das Knappschaftsklinikum Saar beteiligt. Eine zweite Testphase ist für Ende des laufenden Jahres im Klinikum geplant.

Quelle:

Klinikum Karlsruhe: Robotik zur Unterstützung in der Pflegepraxis (klinikum-karlsruhe.de)

https://www.kma-online.de/aktuelles/pflege/detail/serviceroboter-assistiert-pflegekraeften-im-klinikum-karlsruhe-47325

Die Nominierten des Innovationspreis Niedersachsen stehen fest und die KBV gibt grünes Licht für ein neues telemedizinisches Versorgungsangebot ab dem 1. April.

Innovationspreis Niedersachsen 2022: Die Nominierten stehen fest

Auch in diesem Jahr sind jeweils drei Projekte in den Kategorien „Vision“, „Kooperation“ und „Wirtschaft“ nominiert. Der Innovationspreis Niedersachsen ehrt herausragende Innovationsprojekte und Erfolgsgeschichten „made in Niedersachsen“ und wird bereits zum fünften Mal verliehen. Wie schon in den vergangenen Jahren werden die Schirmherren, Niedersachsens Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Dr. Bernd Althusmann, und Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, den Preis feierlich überreichen. Zu den Nominierten Teams geht es hier: Innovationspreis Niedersachsen 2022: Das sind die Nominierten! | Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung

Telemonitoring bei Herzinsuffizienz

Das neue telemedizinische Versorgungsangebot für Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz startete am 1. April. Das gab die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bekannt.

Bereits am 1. Januar wurde die Leistung in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen. Mithilfe des Programms sollen Patienten mit Herzinsuffizienz von einer lückenlosen Betreuung profitieren.

Telemonitoring bei Herzinsuffizienz (aerzteblatt.de)

Die Einführung des elektronischen Rezepts kommt nach Verzögerungen jetzt auf niedrigem Niveau voran. Nach Angaben der Gematik hat das E-Rezept nun einen weiteren Meilenstein genommen: 10.000 eingelöste E-Rezepte wurden am 10. April verzeichnet. Der „beflügelte Anstieg bei ausgestellten und eingelösten E-Rezepten in den vergangenen Tagen“ weise darauf hin, dass Praxen und Apotheken im Umgang und Prozedere zunehmend routinierter werden, so die Gematik.

Die Kurve zeigt tatsächlich nach oben, wenn auch nicht steil: Vor einem Monat waren es etwa halb so viele E-Rezepte und vor zwei Monaten rund 1950. Zielmarke sind 30.000 eingelöste elektronische Verordnungen. Ist sie erreicht, wollen die Gesellschafter der Gematik ­über das weitere Vorgehen beraten und eine flächende­ckende Einführung angehen. Wann das E-Rezept zur Pflicht und somit zum Standard wird, ist weiterhin unklar.

Unter E-Rezept | TI-Score veröffentlicht die gematik seit Anfang März, welche Anbieter bereits E-Rezepte generieren können und verteilt dabei den sogenannten „E-Rezept Ready Score“ mit Bewertungen von A bis E.

Quelle: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/133486/Gematik-Bundesweit-10-000-E-Rezepte-eingeloest?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter

Forscher*innen des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen entdecken neuen Entstehungsmechanismus von Herzrhythmusstörungen bei Herzinsuffizienz.

Jeder Herzschlag ist eine Aufeinanderfolge von elektrophysiologischen und biochemischen Prozessen. Bei einem gesunden Herzen sind die verschiedenen Ionenströme haargenau aufeinander abgestimmt. Kommt es zu Dysbalancen zwischen den einzelnen Ionenströmen, begünstigt dies das Auftreten von Herzrhythmusstörungen. Das ist bei verschiedenen Herzerkrankungen der Fall, insbesondere aber bei Patient*innen mit Herzschwäche. Vor allem kommt es hier zu einem verspäteten Schließen von Natriumkanälen und dem Entstehen eines spät fließenden Natriumstroms, der zu den genannten Dysbalancen führt. Insbesondere Rhythmusstörungen aus den Herzkammern sind dabei potenziell lebensbedrohlich und führen zu einer erhöhten Sterblichkeit der Patient*innen.

„Von Herzrhythmusstörungen ist etwa jeder dritte Herzschwäche-Patient betroffen. Bislang gibt es nur wenige Medikamente für die Behandlung, die zugelassenen Präparate führen oft zu starken Nebenwirkungen. Daher besteht der Bedarf, neue wirksame Substanzen zu entwickeln, die für diese Patient*innen sicher und wirksam eingesetzt werden können. Um dies zu erreichen, ist zunächst jedoch ein verbessertes Verständnis für die Entstehung der Rhythmusstörungen nötig“, sagt Prof. Sossalla.

Dem Forscherteam des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) um Prof. Dr. Samuel Sossalla, Leiter der Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre experimentelle Elektrophysiologie und Bildgebung, und Prof. Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke, Leiterin der Arbeitsgruppe Translationale Stammzellforschung, beide Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG, ist es gelungen, einen neuen Entstehungsmechanismus von Herzrhythmusstörungen bei Herzschwäche aufzudecken.

Durch eine Vielzahl aufwändiger Versuchsreihen konnten sie nun nachweisen: Ein eigentlich dem Nervensystem zugeordneter Natriumkanal (NaV1.8) kommt bei einer Herzschwäche vermehrt in den Herzmuskelzellen vor. Dieser interagiert mit der Kalzium-Calmodulin-abhängigen-Proteinkinase II (CaMKII), einem zentralen Protein in der Entstehung der Herzschwäche. Durch diese Interaktion kommt es zu einer dramatischen Steigerung des späten Natriumstroms.

Für ihre Untersuchungen verwendeten die Forscher*innen Herzmuskelgewebe von Patient*innen mit Herzschwäche sowie humane induzierte pluripotente Stammzellen. Diese Zellen werden aus Haut- oder Blutbiopsien von Patient*innen gewonnen und unter definierten Bedingungen zu schlagenden Herzmuskelzellen umgewandelt.

„In diesen Zellen wurde mit der Genschere CRISPR-Cas9 der Natriumkanal Nav1.8 herausgeschnitten. Bei den so veränderten Zellen konnte der späte Natriumstrom tatsächlich gestoppt werden. Dies brachte den endgültigen Nachweis, dass Nav1.8 am späten Natriumstrom beteiligt ist“, sagt Prof. Streckfuß-Bömeke. In weiteren Versuchen mit den veränderten Zellen bestätigte sich die Annahme, dass sich mit Hemmung des späten Natriumstroms auch die Herzrhythmusstörungen vermindern. „Im Mausmodell zeigten sich ebenfalls weniger Herzrhythmusstörungen, nachdem Nav1.8 ausgeschaltet wurde. Dadurch verbesserte sich auch das Überleben der Mäuse. Dies macht Hoffnung, dass es sich hierbei tatsächlich um einen wirksamen Therapieansatz für Rhythmusstörungen handelt“, sagt Dr. Philipp Bengel, Assistenzarzt der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG und einer der Erstautoren der Publikation.

In einem nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler*innen Hemmer des Kanals im Hinblick auf die Wirksamkeit bei Herzrhythmusstörungen untersuchen, die bereits im Bereich der Schmerzforschung in klinischen Studien eingesetzt wurden.

„Die Studie ist eine wichtige Grundlage und könnte ein Durchbruch für die bis dato nicht ausreichende Behandlung der Herzrhythmusstörung bei Herzinsuffizienz-Patient*innen darstellen. Die Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsgruppen am Herzzentrum Göttingen waren die Voraussetzungen, verschiedene Sichtweisen und Ansätze zum Gewinn neuer, wichtiger Erkenntnisse beizutragen“, sagt Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen und Mitautor der Studie.

Ihre Erkenntnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Originalpublikation: Bengel, P., Dybkova, N., Tirilomis, P. et al. Detrimental proarrhythmogenic interaction of Ca2+/calmodulin-dependent protein kinase II and NaV1.8 in heart failure. Nat Commun 12, 6586 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-26690-1

Quelle: Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Herzrhythmusstörungen bei Herzschwäche-Patient*innen | Universitätsmedizin Göttingen (umg.eu)

Weitere Informationen unter:

Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Kardiologie und Pneumologie

Prof. Dr. Samuel Sossalla           
Telefon 0551 / 39-63648           
E-Mail: ssossalla(at)med.uni-goettingen.de

Prof. Dr. Katrin Streckfuß-Bömeke         
Telefon 0551 / 39-12667           
E-Mail: katrin.streckfuss(at)med.uni-goettingen.de

Fokusprojekte in der Forschung, Oberflächendesinfektion in Zeiten von Corona, fast forward ins Jahr 2030 und der Mehrwert des metropolregionalen Verbunds - wir durften mit Dr. Kristina Lachmann, Gruppenleiterin Atmosphärendruck-Plasmaverfahren / Medizintechnik und pharmazeutische Systeme sprechen.

Oberflächentechnik ist eine Schlüsseltechnologie und insbesondere die optimale Gestaltung der Grenzfläche ist bereits heute für viele Produkte und Anwendungen höchst relevant

Dr. Kristina Lachmann, Fraunhofer IST

GesundheIT: Frau Dr. Lachmann, was sind Ihre aktuellen Fokusprojekte in der Forschung?

Dr. Lachmann: Derzeit baue ich am Fraunhofer IST das Anwendungsfeld „Medizin- und Pharmatechnologie“ auf. Hier werden technologieübergreifend die Kompetenzen des Fraunhofer IST gebündelt und weiterentwickelt. Mein technologischer Fokus liegt dabei auf der Oberflächentechnik mit Atmosphärendruck-Plasmaverfahren. Diese Verfahren können u.a. für die Reinigung und Desinfektion eingesetzt werden. Andere Fragestellungen sind die Herstellung antimikrobieller Oberflächen oder die Integration von Plasmaverfahren in 3D-Druck-Prozesse. Dies ist beispielsweise für Implantate oder pharmazeutische Systeme interessant. Hier arbeite ich insbesondere im „Leistungszentrum für Medizin- und Pharmatechnologie“ mit den Fraunhofer-Instituten ITEM und IMTE und dem Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik PVZ der TU Braunschweig zusammen. Ein besonderes Highlight ist außerdem das „Patientenzimmer der Zukunft“, welches in enger Kooperation mit dem Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig und dem Städtischen Klinikum Braunschweig realisiert wird.

GesundheIT: In Zeiten von Corona kommt Ihr Plasmasystem zur Desinfektion von Oberflächen zum Einsatz – können Sie darüber mehr berichten?

Dr. Lachmann: Im Rahmen eines Fraunhofer-internen Projekts konnten verschiedene Systeme aufgebaut werden, die in einem mobilen Reinigungsroboter integriert werden können. Wir haben dafür ein Plasmasystem weiterentwickelt, sodass es mobil eingesetzt werden kann. Wichtig dafür war z.B., dass während des Prozesses keine schädlichen Abgase in die Umgebung gelangen und trotzdem eine effiziente und materialschonende Reinigung erfolgt.

p1022135 kurpau var4
Bildquelle: Fraunhofer IST / Paul Kurze

GesundheIT: Wo steht die Oberflächenforschung in 2030 und welche Grenzen gibt es heute?

Dr. Lachmann: Oberflächentechnik ist eine Schlüsseltechnologie und insbesondere die optimale Gestaltung der Grenzfläche ist bereits heute für viele Produkte und Anwendungen höchst relevant. Aber auch viele neue Produkte und Anwendungen, angefangen von Batterien bis hin zur Arzneimittelproduktion werden durch Fortschritte in der Schicht- und Oberflächentechnik erst ermöglicht. Beschichtete Oberflächen können Vorteile oder Funktionen bieten, die das Grundmaterial selbst nicht leisten kann, z.B. Verschleißbeständigkeit und leichte Reinigbarkeit. In der Regel erfordern Oberflächen und insbesondere dünne Schichten jedoch vor- und nachgelagerte Prozesse, so dass es immer wichtiger wird Prozessketten und ganze Produktionssystems auszulegen. Grenzen für die Oberflächentechnik gibt es eigentlich keine, aber natürlich viele Herausforderungen und noch nicht gelöste Forschungsfragen. Beispiele sind dünne Schichten für große und geometrischer komplexe Bauteile oder dünne und langzeitstabile antibakterielle Beschichtungen, die keine Metallionen freisetzen.

In Bezug auf Nachhaltigkeit und geschlossene Material- und Stoffkreisläufe wird die Oberflächentechnik zunehmend eine Schlüsselrolle einnehmen. In vielen Produkten und insbesondere bei Kunststoffverpackungen werden Materialverbünde eingesetzt. Die Trennung der einzelnen Komponenten ist i.d.R. eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Materialien einer Kreislaufwirtschaft zugeführt werden können. Aktuell ist das in vielen Fällen nicht möglich. Hier sind innovative Lösungen gefragt, bei denen die Gestaltung der Grenzfläche auch in Zukunft ein entscheidender Erfolgsfaktor sein wird.

GesundheIT: Welchen Mehrwert wünschen Sie sich aus dem metropolregionalen Verbund und wie können andere von einer Zusammenarbeit mit Ihnen profitieren?

Dr. Lachmann: Durch die Mitarbeit im metropolregionalen Verbund verspreche ich mir einen intensiven Austausch mit Akteuren aus anderen Disziplinen, aus dem spannende neue Projekte und Innovationen entstehen. Gleichzeitig freue ich mich, dass Fraunhofer IST u.a. im Bereich medizinischer und pharmazeutischer Fragestellungen weiter bekannt zu machen. Durch unser breites Spektrum an Technologien der Oberflächentechnik, eine umfangreiche Analytik, unsere Kompetenzen im Bereich Verfahrens-, Prozess- und Fertigungstechnik sowie unserer Expertise in der Digitalisierung, Modellierung und Simulation und unserem Anwenderwissen in unterschiedlichsten Branchen vom Maschinenbau über Optik bis hin zur Pharmaverfahrens- und Umwelttechnik sehen als interessanten Partner für die Mitglieder des Verbunds. In meiner bisherigen Laufbahn waren die Projekte, die in interdisziplinären Konsortien entwickelt und bearbeitet wurden, oftmals die Spannendsten – insbesondere, wenn sie anwendungsbezogen und gesamtgesellschaftlich relevant waren. In diesem Sinne bin ich davon überzeugt, dass der Verbund einen echten Mehrwert für alle bietet.

GesundheIT: Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Dr. Lachmann.

ROWIAK Geschäftsführer Prof. Dr. Holger Lubatschowski spricht über sein Home-Augendiagnostik-Gerät für die Untersuchung von Zuhause aus, neue Arten der Diagnostik durch Deep Learning, die neu gegründete Tochterfirma OCUMAX Healthcare GmbH und die Zusammenarbeit im metropolregionalen Netzwerk.

Mittels Deep Learning Algorithmen können Veränderungen im Krankheitsverlauf früher erkannt oder gar prognostiziert werden.

Prof. Dr. Holger Lubatschowski, Geschäftsführung ROWIAK

GesundheIT: Herr Prof. Lubatschowski, zu Ihren #Fokusthemen: Welche Forschungsschwerpunkte hat ROWIAK im Bereich der (digitalen) Gesundheitswirtschaft?

Prof. Lubatschowski: ROWIAK entwickelt ein Augendiagnostik-Gerät mit dem Patienten den Verlauf ihrer Erkrankung zu Hause überwachen können. Viele Augenerkrankungen sind altersbedingt. Entsprechend sind die Patienten oft weniger mobil und der Besuch beim Augenarzt fällt entsprechend schwer – gerade auf dem Land. Eine Überwachung zuhause gibt den Patienten Sicherheit und sie müssen nicht mehr so häufig die Mühe auf sich nehmen zum Arzt zu fahren. Um das innovative „Home Care“ Diagnosesystem schnell zur Marktreife zu bringen hat ROWIAK eigens ein Startup, die OCUMAX Healthcare GmbH gegründet. Damit können wir gezielter Investoren ansprechen, die sich für den Bereich digitale Gesundheitswirtschaft interessieren.

GesundheIT: Lassen Sie uns über die #Zukunft sprechen: Was sind Ihre Zukunftsvisionen?

Prof. Lubatschowski: Die zuhause beim Patienten ermittelten Daten müssen natürlich dem Arzt übermittelt werden. Das geschieht digital. Zum einen müssen die Daten sicher übertragen werden. Was eine Herausforderung an sich ist. Darüber hinaus werden aber auch eine Unmenge an Bilddaten von sehr vielen Pateinten erhoben, die in Summe eine neue Art der Diagnostik ermöglichen. Mittels Deep Learning Algorithmen können Veränderungen im Krankheitsverlauf früher erkannt oder gar prognostiziert werden. Entsprechend früh kann man die passende Therapie dafür einleiten.

GesundheIT: Zu Ihrer #Motivation: Welchen Mehrwert wünschen Sie sich aus dem Verbund der Metropolregion?

Prof. Lubatschowski: ROWIAK und ihre Tochterfirma OCUMAX sind spezialisiert auf den Bereich Optik. Die Herausforderungen auf dem Gebiet der Telemedizin und Künstlicher Intelligenz können wir wahrscheinlich nicht alleine meistern. Entsprechend sind wir auf Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten angewiesen. Ein Netzwerk wie die Metropolregion kann uns hier helfen, die richtigen Partner zu finden. Ferner brauchen wir mittelfristig einen guten Draht zu den Krankenkassen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), um eine mögliche Kostenrückerstattung für die Patienten rechtzeitig in die Wege zu leiten. Auch hier kann und die Metropolregion helfen.   

GesundheIT: Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Prof. Lubatschowski.

chevron-down