Auf den Punkt - Prof. Dr. Axel Haverich

Veröffentlicht: 3. Juli 2023
Prof. Dr. Axel Haverich ist der neue Vorsitzende von Lenkungskreis und Fachbeirat in der Gesundheitswirtschaft der Metropolregion GmbH (Foto: Jennifer Bullert)

Nach dem Abschied von Professor Erich Barke übernimmt nun der ehemalige Herzchirurg und Transplantationsmediziner, Professor Dr. Axel Haverich, den Vorsitz von Lenkungskreis und Fachbeirat im Handlungsfeld Gesundheitswirtschaft. Zu diesem Anlass haben wir uns mit Professor Haverich zusammengesetzt und mit ihm einen Ausblick auf seine künftige Tätigkeit unternommen.

prof. axel haverich foto jennifer bullert

Prof. Dr. med. Axel Haverich hat rund fünf Jahrzehnte als Transplantationsmediziner und Herzchirurg gearbeitet und sich dabei unter anderem auf die Transplantationsforschung konzentriert. Im Fokus stand dabei auch das Thema nachwachsende Organe. Zu seinen Erfolgen zählt unter anderem die Entwicklung von mitwachsenden biologischen Herzklappen – ein Meilenstein in der Behandlung von Herzfehlern, vor allem bei Kindern.

Redaktion GesundheIT: Herr Haverich, wir freuen uns, Sie als neuen Vorsitzenden von Lenkungskreis und Fachbeirat Gesundheitswirtschaft willkommen zu heißen. Ein gutes halbes Jahrhundert waren Sie an der Medizinischen Hochschule Hannover, haben dort geforscht und gelehrt. Was hat Sie bei der Arbeit in einem Krankenhaus der Maximalversorgung am meisten bewegt?

Haverich: Die Patienten. Sie sind diejenigen, die uns morgens, mittags, abends und nachts am Operationstisch, auf der Intensivstation und im weiteren Verlauf auf der Normalstation bei Laune und bei Aktivität gehalten haben. Das ist der Grund, warum ich Arzt geworden bin. Nicht alles, was wir gemacht haben, war immer nur toll und es gab auch Defizite in unseren Behandlungsmöglichkeiten. Das hat uns in die Forschung getrieben, um bessere Implantate, bessere Verfahren und bessere Instrumente zu entwickeln, von denen dann die Patienten profitieren konnten.

Redaktion GesundheIT: Im Interview zu ihrem Abschied von der MHH haben Sie mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung auch angesprochen, wie sich die Medizin während Ihrer beruflichen Laufbahn weiterentwickelt hat. Heutzutage läuft vieles minimalinvasiv ab und Robotik-Systeme werden als Unterstützung eingesetzt. Wie sehen Sie die Medizin der Zukunft?

Haverich: Die Medizin der Zukunft – zumindest was die Chirurgie angeht – wird ganz sicher minimalinvasiv sein. Der Roboter wird zunehmend eine Rolle spielen. Und die Situation für den einzelnen Patienten wird sicherlich günstiger, was seine Prognose bzw. das Risiko der Operation angeht. Was mich an der Entwicklung der Medizin und im Besonderen der Chirurgie allerdings stört, ist, dass es sehr stark kommerzialisiert ist. Beispielsweise werden viele Eingriffe sozusagen auf Betreiben der Geschäftsleitungen motiviert, damit sich dadurch die ökonomische Situation des gesamten Krankenhauses verbessert. Das bedeutet: Nicht das Arzt-Patienten-Verhältnis und der tatsächliche Therapieplan stehen im Vordergrund.

Redaktion GesundheIT: Sie sind nun Vorsitzender des Lenkungskreises und des Fachbeirats und beraten die Metropolregion rund um medizinische Themen. Was haben Sie sich in dieser Funktion vorgenommen bzw. was möchten Sie erreichen?

Haverich: Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir die hier in der Region vorhandene Kompetenz hinsichtlich Gesundheit wahrnehmen – sei es in der Wirtschaft, in der ärztlichen Versorgung, in der Pflegeversorgung oder bei anderen technischen Berufen. Diese Kompetenz müssen wir sichtbarer machen und die Ausbildung und Studiengänge möglichst optimieren. Auf der gesundheitswirtschaftlichen Seite wird sich das, denke ich, etwas von den klassischen Produkten weg entwickeln. Also nicht mehr nur die neue Schere oder Pinzette, sondern hin zu mehr eHealth-Applikationen. Ich glaube auch, dass die ältere Bevölkerung künftig mehr Angelegenheiten über Apps abwickeln wird. Zum Beispiel auf der Informationsebene: Wo gehe ich hin? Soll ich das machen lassen? Ebenso wird das für die Nachsorge eine Rolle spielen. Ein ganz großes Potenzial sehe ich in der virtuellen Realität oder Augmented Reality. Ich glaube, da können wir im Bereich Schulungen im Krankenhaus und in den Praxen sehr viel machen und haben so auch die Möglichkeit, Ausbildungskonzepte besser und schneller vermitteln zu können.

Redaktion GesundheIT: Sie haben ja bereits in vielen verschiedenen Kommissionen und Fachgesellschaften Erfahrungen gesammelt. Was nehmen Sie daraus für die Metropolregion mit?

Haverich: Was ich immer wieder in allen Gremien merke, ist, dass die Erfahrungen, die man aus Gremium Nummer eins bis drei mitgebracht hat – allein, was die Umgebungsbedingungen für Medizin und Chirurgie sind oder für Medizinprodukte – gute Erfahrungen sind. Die lassen sich zwar nicht eins zu eins übertragen, aber mit diesem Erfahrungsschatz kann man dann vielleicht auch in den weiteren Gremien Impulse setzen, weil man so einen gewissen Überblick über das Gesamtsystem hat.

Redaktion GesundheIT: Sie schreiben in Ihrem Buch „Der menschliche Faktor“ über die positiven Auswirkungen von Virtual Reality auf Patienten. Auch für die Metropolregion GmbH gewinnt diese Technologie zunehmend an Bedeutung. Was könnten da künftige Behandlungsansätze bzw. -einsätze sein?

Haverich: Eigentlich habe ich immer gedacht, dass dieses Metaverse nichts für meine Generation ist. Aber wenn ich sehe, dass wir Patienten – gerade Schmerzpatienten, Rheumapatienten oder auch Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen – dadurch positiv beeinflussen können, und die Datenlage das auch stützt, dann ist das etwas ganz Wichtiges. Es gibt eine sehr gute Studie aus den USA – in dem Fall New York City – in der das Pflegepersonal während der COVID-Pandemie, einer Phase der Maximalbelastung, über virtuelle Realität auch in Entspannungsphasen hineingebracht wurde. Also ist VR nicht nur für Patienten, sondern tatsächlich auch für die Menschen, die am Patienten arbeiten, eine sehr gute Technologie, die eigentlich weiterentwickelt werden muss. Ich habe eine persönliche Erfahrung gemacht mit einer Patientin auf der Intensivstation, die seit drei Monaten mit einer ganz schlechten Prognose und einem sehr schweren Verlauf dort lag. Und da habe ich gesagt: „Jetzt versuchen wir das mal mit der virtuellen Realität.“ Wir haben sie dann damit in ein Kanu gesetzt in der Arktis. Anfangs dachten wir, dass es schwierig werden würde, aber als wir ihr die Brille absetzen wollten, hat sie gefragt, warum wir denn schon aufhören und wann sie die Brille noch einmal nutzen könne. Das zeigt einfach, dass auch eine – wie in diesem Fall etwa 65-jährige Frau – von dieser Technologie profitiert.

Redaktion GesundheIT: Was sind in Ihren Augen in der Gesundheitswirtschaft aktuell die größten Hürden, die überwunden werden müssen?

Haverich: Eigentlich sind es zwei. Die meisten, die in der Gesundheitswirtschaft arbeiten, klagen darüber, dass es so schwierig ist, neue Produkte auf den Markt oder an den Patienten zu bringen. Ich sage auf der anderen Seite als erfahrener Klinikarzt, dass aber viele Produkte vielleicht auch gar nicht das halten, was sie initial versprechen oder wofür sie in der Anfangsphase mal entwickelt worden sind. Also das Einführen neuer Produkte in die Medizin ist im Moment in Deutschland ganz sicher nicht einfach. Die allergrößte Hürde ist allerdings der Personalmangel. Und es wird immer von der Pflege gesprochen, da ist es am prominentesten. Aber in der Chirurgie ist es nicht viel besser. Zum Schluss waren von 50 Ärzten in meiner Abteilung über 30, die mit einer Migrationsgeschichte zu uns kamen. Das heißt, in die Chirurgie gehen die deutschen Studienabgänger nicht mehr rein. Und das betrifft nicht nur die Chirurgie und nicht nur die Medizinische Hochschule, es betrifft zum Beispiel die Anästhesie und vor allem die Flächenländer. Der Personalmangel ist das größte Problem überhaupt. Und hier müssen wir dringend Abhilfe schaffen und Ideen entwickeln, um das System aufrechtzuerhalten.

Redaktion GesundheIT: Was sehen Sie denn als Grund, dass es so viel Personalmangel in der Chirurgie oder Anästhesie gibt?

Haverich: In der aktuellen Arbeitsmarktsituation können sich Studienabgänger und Auszubildende ja quasi ihren Arbeitsplatz aussuchen. Und dann wählen sie nicht einen, bei dem sie möglicherweise um zwei Uhr morgens für sechs Stunden am Operationstisch stehen müssen. Zweitens gehen die Berufe, in denen aktuell Personalmangel herrscht, mit der meisten Verantwortung einher. Und ich habe viele Gespräche mit den Studierenden bei uns an der Medizinischen Hochschule geführt und gesagt: „Ihr habt Angst, die Verantwortung zu übernehmen.“ Denn wenn man sich nachts hinstellt für sechs Stunden und einen Patienten operiert und dann am nächsten Morgen feststellt, dass da etwas schiefgelaufen ist, dann steht man als Chirurg allein in der Verantwortung für Gelingen oder Nicht-Gelingen der Operation. Andererseits äußert sich nach der deutlichen Mehrzahl der Operationen ein Gefühl von Stolz über die eigene Leistung. Beim Nachwuchs überwiegt im Moment aber die Überlegung: Schaffe ich das hinsichtlich der Verantwortung? Und da müssen wir ansetzen – in der Pflege wie bei unserem ärztlichen Nachwuchs.

Redaktion GesundheIT: Und wie könnte dieses Problem im besten Fall gelöst werden?

Haverich: Twinning. Wir haben das mit zwei Personen gemacht, also quasi Pilot und Co-Pilot nebeneinander und eine längere Phase der Einarbeitung. Dass die jungen Chirurgen nicht so früh alleine gelassen werden, wie das bei uns früher der Fall war. Das waren schon sehr anstrengende Zeiten mit wenig Schlaf. Wir sind sicher zu jung in die Verantwortung gegangen. Aber ich denke, dass es hier gute Betreuungs- und kollegiale Konzepte gibt, um den jungen Menschen die Angst vor der alleinigen Verantwortung zu nehmen.

Redaktion GesundheIT: Nun zu einem anderen Thema. Die Metropolregion umfasst nicht nur mehrere Großstädte, sondern auch viele kleinere und mittlere Städte sowie den ländlichen Raum. Wo sehen Sie da bei der medizinischen Versorgung zurzeit den dringendsten Handlungsbedarf hinsichtlich des sogenannten Stadt-Land-Gefälles?

Haverich: Ich habe viel mit Politikern und Bürgermeistern von Stadt und Land gesprochen, natürlich auch mit Bürgerinnen und Bürgern, auch im familiären Umfeld. Für mich steht immer die Qualität der medizinischen Versorgung vor der Entfernung. Das ist sehr schwer zu vermitteln, besonders bei der älteren Bevölkerung, das weiß ich. Aber aus chirurgischer Perspektive müssen die wichtigen und großen Eingriffe dort vorgenommen werden, wo auch die entsprechende Erfahrung besteht. Und das bedeutet automatisch, dass solche Eingriffe nicht in kleinen Häusern auf dem Lande gemacht werden können. Das heißt, die Bevölkerung muss sich damit auseinandersetzen, dass es beispielsweise für Krebs- oder Herzoperationen möglicherweise längere Anfahrtswege gibt. Dafür wird dann aber eine qualitativ hochwertige Versorgung geleistet. Die Versorgung mit Blick auf Allgemein- und Fachärzte ist eine andere Situation. Aber auch hier bin ich der Meinung, dass eine gute Versorgung in 20 Kilometern Entfernung sinnvoller ist, als eine mäßige oder unregelmäßige Versorgung vor Ort. Und wenn wir den Blick über den großen Teich in die USA wagen, merken wir meist erst dann, was unsere Gesundheitsversorgung alles abdeckt, während der Zugang zu medizinischer Versorgung in den USA viel schwieriger ist.

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