Mit Augmented Reality Brille in der Pflege zu einer Erleichterung des Pflegealltags? Das erforscht das Projekt Pflegebrille 2.0 der TU Clausthal nun auch in der ambulanten Pflegeeinrichtung Bettina Harms GmbH. Die Einrichtungen lernten sich im Rahmen der Entwicklungsplattform Innovative Pflege „InCa 4D“ kennen und arbeiten seit dem in einem gemeinsamen Projektteam. Seit April wird die Pflegebrille nun in der Einrichtung getestet. Wir haben die ersten Eindrücke von Erprobungspartnerin Jasmin Friedrichs (Abteilungsleitung Wohngemeinschaft Bettina Harms) und dem Entwickler der Pflegebrille Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla (Leitung Projekt Pflegebrille, TU Clausthal) zum Tragekomfort, Einsatzszenarien, Widerständen und Marktreife dieser Innovation eingefangen.
gesundheIT: Frau Friedrichs, wie ist Ihr erster Eindruck zur AR-Brille, die initiiert durch die Entwicklungsplattform InCa 4D in Ihrer Einrichtung erprobt werden soll?
Jasmin Friedrichs: Der erste Eindruck ist überraschend. Ich habe mir die AR-Brillen größer und schwerer vorgestellt. Sie haben einen guten Tragekomfort.
gesundheIT: Welche Anwendungsfelder haben Sie in der Pflegepraxis heute ausprobiert?
Jasmin Friedrichs: Heute ging es in erster Linie um die technische Integration der Pflegebrille in die IT der Wohngemeinschaft.
gesundheIT: Welche Praxisanwendungen für Pflegebrillen könnten Sie sich bei der Bettina Harms GmbH vorstellen? Welche Bedarfe sehen Sie aktuell und zukünftig?
Jasmin Friedrichs: Das Dienstleistungsportfolio in der ambulanten Pflege steigt durch den demografischen Wandel und den zunehmenden Assistenz-/Unterstützungsbedarf bei älteren Menschen. Eine zunehmende Anzahl komplexer pflegerischer Versorgungen trifft zunehmenden auf den jetzt schon vorherrschenden Pflege- und Pflegefachkraftmangel. Die Langzeittestung der Brille findet in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft der Bettina Harms GmbH statt. Aber nicht nur hier kann ich mir den Einsatz von AR-Brillen vorstellen, sondern auch für den ambulanten Versorgungsmarkt. Hierbei können Pflege- und Pflegefachkräfte durch den zum Teil anspruchsvollen Pflegealltag durch Expert*innen begleitet werden.
gesundheIT: Wie ist die Einstellung aktuell zu Augmented Reality im Pflegealltag im Kollegium?
Jasmin Friedrichs: Die Kolleg*innen sind sehr gespannt und freuen sich auf das Projekt.
gesundheIT: Vielen Dank, Frau Friedrichs. Herr Prof. Prilla, wie lief der heutige Praxistext aus Ihrer Sicht?
Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla: Heute konnten wir die Pflegebrille erfolgreich vor Ort in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft der Bettina Harms GmbH integrieren und haben durchweg positive Reaktionen von zukünftigen Pflegebrillennutzer*innen bekommen. Jetzt hoffen wir, dass die Brille im Alltag auch die Unterstützung bietet, die sich alle Beteiligten erhoffen.
gesundheIT: Wo testen Sie zur Zeit noch im Rahmen Ihres Projektes Pflegebrille 2.0?
Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla: Wir versuchen uns mit mehreren Langzeittests breit aufzustellen und verschiedene Bereiche der Pflege abzudecken. Aktuell sind wir mit der Pflegbrille in einer weiteren Intensivpflege-WG eines anderen Anbieters sowie in zwei stationären Pflegeeinrichtungen unterwegs. Bei allen Langzeittestungen treffen wir dabei auf verschiedene Unterstützungsbedarfe, die wir mit der Pflegebrille gut bedienen können. So können wir herausfinden, ob und unter welchen Umständen die Brille eine sinnvolle Unterstützung im Alltag ermöglicht.
gesundheIT: Wo sehen Sie Widerstände und wie können diese abgebaut werden? Welche Bedarfe werden zukünftig in der Pflegepraxis gedeckt werden müssen?
Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla: Widerstände sind zumindest bei unseren Partnern kaum vorhanden. Auch wenn wir die Pflegebrille in der Öffentlichkeit präsentieren bekommen wir meist positive Rückmeldung und die Frage, ob und wie man bei der Pflegebrille mitmachen könnte. Vereinzelt gibt es ein paar Pflegefachkräfte, die bei der ersten Nutzung zögern. Dann ist es häufig aber so, dass nach der ersten Nutzung die Vorteile erkannt werden und die Pflegekräfte die Brille doch mal in der Pflegepraxis probieren möchten. Natürlich gibt es auch Skeptiker und Schwarzseher, gerade in den sozialen Medien. Aber das gehört dazu und wir sind überzeugt, dass wir durch die Entwicklung der Brille mit Praktiker*innen und in der Praxis einen Beitrag zur Entlastung aller Beteiligten leisten können. Wichtig ist aber natürlich die technische Infrastruktur vor Ort: Damit die Pflegebrille zukünftig bei möglichst vielen Pflegediensten eingesetzt werden kann, wird man bspw. nicht darum herum kommen, WLAN in den Einrichtungen anzubieten oder auszubauen.
gesundheIT: Im Kontext unserer Entwicklungsplattform Innovative Pflege – Wann schätzen Sie, wird Ihre Pflegebrille die Marktreife erreichen?
Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla: Zur Marktreife der Pflegebrille fehlt unserer Meinung nach nur noch das Wissen aus der Praxis, also wie die Pflegebrille in verschiedenen Einrichtungen und bei verschiedenen Bedarfslagen einen Mehrwert entfalten kann. Durch unsere aktuelle Initiative, die Pflegebrille über längere Zeit in der Praxis zu erproben, bekommen wir aufschlussreiches Feedback aus der Praxis und können abschätzen, wie die Technologie sinnvoll einsetzbar ist. Dann werden wir weitere Schritte zur Vermarktung einleiten.
gesundheIT: Vielen Dank für Ihre Zeit und viel Erfolg im weiteren Projektverlauf!
Bildnachweise: Jasmin Friedrichs, Bettina Harms GmbH