Die Einsatzgebiete von Implantaten sind vielfältig – von der Zahnmedizin über die Orthopädie, Herzchirurgie bis hin zu Hörimplantaten. Ebenso vielfältig ist die Implantatforschung in der Metropolregion, wie unser jüngster HealthTalk deutlich zeigt. Vanessa Luttermann, Projektleitung Gesundheit hat mit unseren vier Gäst*innen, Prof. Dr. Meike Stiesch (MHH), Prof. Dr. Eva Baumann (HMTMH), Dr. Daniel Keppeler (UMG) und Andreas May (MWK) über den Status Quo und die Zukunft intelligenter Implantate gesprochen und Antworten auf die wichtigsten Fragen erhalten.
Nicht immer werden Implantate toleriert, sondern manchmal auch abgestoßen: wie können Implantate noch sicherer und besser werden? Und was haben Luftfahrt, Maschinenbau und Elektrotechnik mit damit zu tun?
Damit beschäftigt sich der Sonderforschungsbereich SIIRI (Sicherheitsintegrierte und infektionsreaktive Implantate) unter der Leitung von Prof. Dr. Meike Stiesch. Das Leuchtturmprojekt wird in den nächsten vier Jahren mit rund 12 Mio. € von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und vereint über 120 Wissenschaftler*innen (MHH, Leibniz Universität, HMTHM, Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, TU Braunschweig) und 19 Projekte zur Entwicklung von sicherheitsintegrierten und infektionsreaktiven Implantaten.
„Implantate sind in vielen Disziplinen von Bedeutung zur Wiederherstellung wichtiger und zum Teil lebenserhaltener Funktionen, können jedoch medizinische Komplikationen nach sich ziehen. Darum erforschen wir Systeme zur Erhöhung der Sicherheit, wie sie beispielsweise im Bauingenieurwesen oder der Luftfahrt zum Einsatz kommen, nun erstmals für die Medizin. Diese Systeme sind gekennzeichnet durch die Möglichkeit einer kontinuierlichen Zustandserfassung zur Detektion drohender Komplikationen und der nachfolgenden Reaktion zur Wiederherstellung des Initialzustands.“
Prof. Dr. Meike Stiesch, Direktorin der MHH-Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomedizinische Werkstoffkunde und Leiterin des Forschungsverbunds „Sicherheitsintegrierte und infektionsreaktive Implantate“ (SIIRI)
Das Ziel: Komplikationen sollen frühzeitig über neue Sensorsysteme erfasst und entweder zum Arzt weitergeleitet werden oder autoregulativ an Implantat-gebundene Aktoren, um eine technische oder biologische Regeneration zu erreichen und das Implantat in seiner Funktion wiederherzustellen – dazu ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig.
Wie fließen die Ergebnisse der unterschiedlichen Disziplinen nachher in einem Implantat zusammen?
In den Teilprojekten forschen Mediziner*innen mit Ingenieur*innen, Natur- und Sozialwissenschaftler*innen gemeinsam. Der regelmäßige enge interdisziplinäre Austausch ermöglicht eine Vernetzung der Erkenntnisse zum Implantat der Zukunft: Dieses beinhaltet sowohl die Erfassung von Komplikation und Reaktion als auch die Möglichkeit zur schonenden Entfernung. Das ist heute noch ein Problem.
Welche Ergebnisse kann der Sonderforschungsbereich „Sicherheitsintegrierte und Infektionsreaktive Implantate“ (SIIRI) der MHH nach einem Jahr bereits vorweisen?
„Wir können bereits darüber aufklären, welche Bakterien für patogene Reaktionen verantwortlich sind. Über KI-Methoden konnten Bio-Marker identifiziert werden, um Infektionen frühzeitig anzuzeigen. Das wollen wir noch auf weitere Implantatsysteme erweitern“, Prof. Dr. Meike Stiesch.
Welche Rolle spielt die Kommunikation in der Implantatforschung?
„Intelligente Implantate bedeuten nicht, dass man nicht mehr miteinander redet, sondern vielleicht muss man an der einen oder anderen Stelle sogar noch viel intensiver miteinander reden. So intelligent die Forschung auch ist, sie hat nur eine Chance, wenn es Vertrauen in diese neue Technologie gibt. Der ganze Innovationsprozess ist eine große Kommunikationsherausforderung.“
Prof. Dr. Eva Baumann, Leiterin des Hanover Center for Health Communication am IJK und Vizepräsidentin Wissenschaft der HMTMH
Dabei im Fokus: Wie wird das Thema medial wahrgenommen? Wie sind die Akzeptanzbarrieren? Besonders wichtig sei es, ein Verständnis davon zu entwickeln, was Vertrauen und Ängste auf Patient*innenseite generiert. Bedarfsgerechtigkeit wird großgeschrieben. Nur so können die richtigen Informationen bereitgestellt werden, sodass die Patient*innen und ihre Angehörigen fundierte Entscheidungen treffen können. Dabei dürfe sich nicht der Illusion hingeben werden, dass einmal gutes Infomaterial entwickelt wird – die Kommunikator*innen müssten sich immer wieder flexibel auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen einstellen. Ein hochdynamischer Prozess, der durch sehr intensive Austauschprozesse im Forschungsverbund geprägt ist.
Das Ziel: Der wachsenden Bedeutung von Kommunikation in der medizinischen Ausbildung gerecht werden, indem ein Konzept beziehungsweise Schulungsprogramm entwickelt wird, das Health Professionals in der Patient*innen-Kommunikation unterstützt.
Das Institut für auditorische Neurowissenschaften an der Universität Göttingen ist weltweit führend in der Forschung am optischen Cochlea Implantat. Wie wird die Hörleistung durch das optische Cochlea Implantat verbessert im Vergleich zum herkömmlichen elektrischen?
Das elektrische Cochlea-Implantat (auch: elektrisches Hören) wird seit Ende der 70 Jahre in der Klinik eingesetzt. Das Problem: Die menschliche Gehörschnecke ist mit Salzlösung gefüllt und durch Strom werden sehr viele Nervenzellen auf einmal angeregt. Beim optischen Hören wird eine gezielte und kleinere Anzahl von Nervenzellen angeregt und das Hörerlebnis somit signifikant verbessert. Eine auf das Ohr beschränkte Gentherapie, um den Hörnerv auf Licht vorzubereiten, ist momentan nicht umgänglich.
Der Blick in die Zukunft: Werden wir Menschen bald besser hören als Delfine?
„Wir sind mit unserem „Hearing The Light-Ansatz“ bereits in der Zukunft angekommen. Im Moment fokussieren wir uns darauf, kranken Menschen zu helfen und nicht auf die Optimierung von gesunden Menschen. An das Gehör von Delfinen werden wir so schnell also nicht rankommen.“
Dr. Daniel Keppeler, Postdoc im Projekt „NeurOpto“ zum optischen Cochlea Implantat am MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und Mitgründer von OptoGenTech GmbH
Wie kann Spitzenforschung in der Metropolregion gehalten werden?
Das oberste Ziel, die Gewinnung und das Halten von Spitzenwissenschaftler*innen zeigt Wirkung. So wurde das Professor*innenprogramm zwischen Bund und Ländern so gut angenommen, dass die Co-Finanzierung in Niedersachsen erhöht werden musste.
„Besser werden kann man immer. Die Nachwuchsgewinnung nimmt einen sehr bedeutenden Raum ein. Die Forschung soll aus dem Elfenbeinturm in die Praxis getragen werden, was durch zusätzliche Translationseinrichtungen ermöglicht werden soll. Wir wollen Forschenden den Raum geben, innovativ voranzugehen.“
-Andreas May, stellv. Referatsleiter Lebens-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften; Wissenschaftliche Bibliotheken im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Ein Ansatz ist das „Zukunftslabor Gesundheit“: Wie sind die Digitalisierung, KI und Medizin miteinander verbindbar? Wie können Netzwerke Verbesserung schaffen? Insbesondere die Pandemie hat in diesen Bereichen Potenziale für Verbesserungen offengelegt.
Die Metropolregion als Vorreiterin in der internationalen Implantatforschung?
„Die Metropolregion ist sehr stark sichtbar im internationalen Vergleich. Wir haben hier viele Potenziale nicht nur in der interdisziplinären Grundlagenforschung, sondern auch für die Translation in eine klinische Anwendung, hier wollen wir weiter. Wir wollen Implantate nicht nur sicherer machen, sondern sie auch in die klinische Anwendung bringen, also für Patient*innen zugänglich machen“, so Prof. Dr. Meike Stiesch.
Hinweis der Redaktion: Der HealthTalk ist in unserer YouTube-Mediathek weiterhin abrufbar.