
Verkehrsanbindung, Fachkräfte vor Ort, Grundstückspreise, Wohnqualität, Freizeitangebote – all das sind Standortfaktoren, die darüber entscheiden, ob sich Unternehmen und Arbeitskräfte in einer Kommune ansiedeln. Im wachsenden Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen und Fachkräfte zeigt sich aber auch, dass sich Anpassungsfähigkeit auszahlt – und das in barer Münze. Anja Floetenmeyer-Woltmann, Strategin für gesellschaftliche Verständlichkeit und kommunale Transformation, sieht die Chancen dabei vor allem in der Transformation. Wie Kommunen sich dadurch besser positionieren können und wertvolle Einnahmen für ihre Haushalte generieren können, erzählt sie im Interview.

Anja Floetenmeyer-Woltmann ist Strategie-Expertin im Bereich Energiewende und Klimaschutz.
Mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung hat sie viele wegweisende Projekte und Kampagnen umgesetzt, unter anderem die "Mein Klimacoach"-Kampagne in der Region Hannover und die bundesweite „Woche der Wärmepumpe“ für das Bundeswirtschaftsministerium und die Deutsche Energieagentur dena. Aktuell hat sie bundesweit zehn Wärmepumpen-Infotage mit Kommunen auf den Weg gebracht, die im Oktober starten. In ihrer Zeit als Geschäftsführerin der Klimaschutzagentur Region Hannover hat sie innovative Beratungsformate entwickelt und 21 Kommunen bei der Wärmewende begleitet.
Sie ist Mitglied im Wärmepumpen-Beirat der EU-Kommission, Klimapakt-Botschafterin der EU und sitzt im Beirat der Klimaschutzagentur Niedersachsens, der KEAN. Weitere Infos. https://floetenmeyer-woltmann.de/
(Foto: privat)
Redaktion: Sie sprechen von „Transformation als neuem Standortfaktor“. Was genau meinen Sie damit – und warum wird dieses Thema für Kommunen immer dringlicher?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Kommunen sind historisch dort entstanden, wo es Standortfaktoren gab: Wasser, fruchtbarer Boden, Handelswege. Energie war schon immer entscheidend – früher aus Flüssen und Wasserrädern, heute aus Strom und Wärme. Neu ist: Wer günstige erneuerbare Energie vor Ort hat, hat einen massiven Standortvorteil.
Fabriken haben sich in Brandenburg auch deshalb angesiedelt, nicht nur weil es dort Subventionen gab, sondern weil ausreichend günstige erneuerbare Energie zur Verfügung stand. Über Direktleitungen können energieintensive Betriebe direkt mit günstigem lokalem Strom versorgt werden – eine Win-win-win-Situation für Unternehmen, Kommune und regionale Wertschöpfung.
Viele Kommunalos kennen jede Fläche in ihrer Gemeinde genau – jahrelang wurde über Bebauung und Nutzung diskutiert. Neu ist nur, dass man aus diesen Flächen heute direkt Wertschöpfung ziehen kann. Man muss es laut sagen: Die Akzeptanzabgabe ist im Vergleich zu den tatsächlichen Einnahmen ein Brosamen. Die Zeit ist da: Kommunen sind finanziell unter Druck, Einnahmen aus dem Gasnetz fallen bald weg, noch sind nicht alle Flächen für Wind und PV (Anm. d. Red. Photovoltaik) weg. Wer zugreift, kann aus lokaler Luft und Sonne kommunal Millionen-Einnahmen erzeugen.
Redaktion: Worauf kommt es in der kommunalen Flächennutzungsplanung jetzt besonders an, wenn Transformation gelingen soll?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Wir können Strom nicht beamen – er muss angeschlossen werden. Deshalb ist es entscheidend, vom Stromverbraucher und vom Netz aus zu denken und Sektoren zu verbinden: Strom, Wärme, Mobilität. In der Praxis heißt das: Vorranggebiete klug nutzen, Flächen mit Netzanschluss oder Industriestandort-Nähe sichern und die Planung so ausrichten, dass erneuerbare Stromproduktion, Speicher und Wärmenetze zusammen gedacht werden. Je früher alle Akteur:innen – von Kommune über private Flächeneigentümer:innen und Großverbrauchern bis hin zu Versorgern – an einen Tisch kommen, desto schneller und wirtschaftlicher geht es.
Redaktion: Was ist denn der größte Kardinalsfehler in der kommunalen Flächenpolitik – und wie lässt er sich vermeiden?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Der Kardinalsfehler ist, dass isoliert geplant wird: Wind hier, Solar dort, Wärmenetze wieder ganz woanders – oft von unterschiedlichen Marktakteur:innen, die über die Technik wenig mit der Kommune sprechen und die Großverbraucher werden zuletzt informiert, wenn überhaupt. Das führt zu Doppelarbeit, Reibungsverlusten und Netzengpässen. Die Lösung: vom Netz und vom Verbrauch aus denken, Sektoren koppeln, Akteur:innen vernetzen, gemeinsam entwickeln. Entweder übernimmt das ein Generalakteur oder die Kommune schafft gezielt den Raum für Vernetzung.
Redaktion: Woran liegt es, dass viele Kommunen wirtschaftliches Potenzial auf ihren eigenen Flächen liegen lassen?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Alle Kommunen kennen ihre Flächen, sie haben bereits jahrelang diskutiert, was man wo bauen kann – und wo lieber nicht. Private Projektierer und Flächeneigentümer:innen waren schnell, haben sich Vorrangflächen gesichert und damit erhebliche Einnahmen. Nun sind Kommunen keine Projektierer. Aber sie können aktiv werden, solange noch nicht jede Fläche weg ist. Egal ob zehn Hektar eigenes Land oder gar keins: Durch kommunale Vernetzung lassen sich auch private Flächen in Gemeinschaftsprojekten nutzen. Eventuell versorgt man per Direktleitung energieintensive Abnehmer:innen oder siedelt neue an. Das ist Wirtschaftsförderung pur. Wer lokal günstigen Strom an eine energieintensive Fabrik oder einen Betrieb mit Hochtemperaturofen liefert, sichert sich Gewerbesteuereinnahmen, Arbeitsplätze – oder verdient zusätzlich am Stromverkauf. Im besten Fall alles.
Redaktion: Wie viel Geld könnten Kommunen mit einer aktiven Transformationsstrategie konkret sparen oder sogar einnehmen?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Viele Kommunen unterschätzen die Summen. Schon knapp 170 Hektar PV erwirtschaften in 20 Jahren über 50 Millionen an Gewinn. Kommunen können Einnahmen aus Pachtbeteiligungen, Gewerbesteuer und Stromvermarktung erzielen – und gleichzeitig ihre eigenen Energiekosten senken. Wer heute Öl, Gas oder Diesel für kommunale Gebäude und Fuhrparks kauft, gibt jedes Jahr große Beträge aus. Elektrifizierung mit oder ohne Eigenbeteiligung spart das dauerhaft ein. Und der größte Hebel kommt, wenn Anlagen abgeschrieben sind: Dann produziert eine Anlage Strom zu fast null Euro. Die Sonne schickt keine Rechnung – nur die Bank, bis die Anlage bezahlt ist. Danach gehört die Ernte dem Betreiber. Wenn die Kommune beteiligt ist, heißt das: Generationengerechtigkeit und finanzielle Freiheit. Es ist zudem wie in der Landwirtschaft: Das Land versorgt die Stadt und verdient daran. Ich kenne Kommunen, auf deren Gebiet ein jährlicher (!) Anlagengewinn von 16,6 Millionen möglich ist, und da wohnen nicht einmal 60.000 Menschen. Ländliche Kommunen bräuchten sich um die Finanzierung der Daseinsvorsorge nicht zu sorgen.
Redaktion: Trotzdem braucht es ja erst einmal Investitionen – etwa für Planung oder Projektentwicklung. Wie können Kommunen diesen Spagat schaffen: heute investieren, um morgen mehr Spielraum zu haben?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Aus einer Verwaltung wird keine Projektgesellschaft – und das muss auch nicht sein. So wie wir früher keinen eigenen Bohrturm für Gas- oder Ölförderung gebaut haben, müssen wir heute den Dreiklang aus Spiegel-Spargel-Speicher - also PV, Wind, Batterien - allein aufstellen. Kommunen bringen Fläche, Planungshoheit und Netzwerke ein, können sich beteiligen. Projektpartner:innen übernehmen Entwicklung, Gutachten und Risiko. Aufgabe der Kommune ist es, den Rahmen zu setzen, Akteur:innen zusammenzubringen und das Vorhaben ins Rollen zu bringen. Es geht nicht um Alleingang – es geht um das Auflösen von Alleingängen.
Redaktion: Die Flächennutzung ist hochpolitisch – Genehmigungsprozesse dauern oft Jahre. Wie lässt sich der Faktor Zeit besser in den Griff bekommen, ohne demokratische Prozesse auszuhebeln?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Was lange dauert, ist nicht automatisch demokratisch. Der Schlüssel ist, früh und ohne „Klimaschutz!!“-Polarisierung in den Dialog zu gehen – große ergebnisoffene Versammlungen, bevor irgendetwas geplant wird. Bürger:innen einladen, informieren, mitnehmen. Konsens vor Ort lässt sich herstellen. Mit der EU-Notfallverordnung wurden verbindliche Genehmigungsfristen von sechs Monaten möglich. Wer diesen Rahmen nutzt und gleichzeitig für breite Zustimmung und finanziellen Nutzen sorgt, erzeugt Momentum und kann Planungen beschleunigen. Die Stadtspitze darf Tempo ansagen. Denn keine Verwaltung braucht noch ein Langfristprojekt. Besser fokussiert agil arbeiten und dann ist man in einem halben Jahr durch.
Redaktion: Welche Rolle könnten interkommunale Kooperationen oder gemeinsame Flächenpools spielen?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Eine große. Die fossile Welt war von Einzelkämpfer:innen geprägt, die erneuerbare Welt funktioniert dezentral und im Team. Kooperationen ermöglichen größere Projekte, Einkaufsvorteile, gemeinsame Netzinfrastruktur und regionale Energiecluster. Besonders spannend: Direktleitungen zu energieintensiven Betrieben lassen sich oft besser umsetzen, wenn mehrere Kommunen gemeinsam planen.
Redaktion: Wie wirken sich die Maßnahmen auf den Klimaschutz aus?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Klimaschutz ist hier keine Moralfrage, sondern eine ökonomische Chance. Dass dabei weniger fossile Energieträger verbrannt werden, ist der Kollateralnutzen. Der Fokus liegt auf lokaler Wertschöpfung und dem Sichern der Daseinsvorsorge. Ein Klimaschutzkonzept in der Schublade ist gut, ein Wärmeplan auch – aber echte Wirkung entsteht, wenn lokal günstige Energie für alle verfügbar ist. Wer elektrisch heizt, fährt oder produziert, spart Geld – und die Wertschöpfung bleibt vor Ort.
Redaktion: Welche konkreten Hürden erleben Sie in der Praxis?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Die erste Hürde ist schlecht gemachte Kommunikation. Zweitens lassen sich Netzengpässe vermeiden, wenn man netzdienlich plant und die Digitalisierung vorantreibt. Hürde drei hängt in den Köpfen: der Mythos, es scheitere am Geld. Die Frage ist nicht „Wer soll das bezahlen?“, sondern „Wer darf investieren?“ – und solche Investor:innen gibt es genug.
Redaktion: Was sind die drei wichtigsten Schritte, die Kommunen sofort einleiten sollten?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Sich die Zahlen angucken - und dann den Willen zur Transformation klar äußern. Nachdem erste Ideen im Raum stehen, sofort eine ergebnisoffene moderierte Veranstaltung organisieren und alle an einen Tisch holen. Und dann Förderung als Hebel für Wertschöpfung nutzen. Wer zügig arbeitet, darf die aktuell gute EEG-Förderung unbedingt mitnehmen.
Redaktion: Gibt es Förderinstrumente, die Sie empfehlen?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Das Problem ist nicht das Geld, sondern fehlende Struktur. Wir brauchen kein Mehr an Mitteln, sondern besseres Vorgehen: fokussiert, koordiniert, priorisiert. Erfolgsbeispiele wie der Rhein-Hunsrück-Kreis zeigen, dass kleine Maßnahmen große Bewegungen anstoßen können.
Redaktion: Wenn Sie einen Wunsch an Land oder Bund frei hätten?
Anja Floetenmeyer-Woltmann: Der Bund sollte verstehen, dass Umsetzung kein Eiertanz sein darf. Wer in Sachen Klimaneutralität keine klare Linie vorgibt, macht Deutschland zum Industriemuseum, verhindert Investitionen, Markthochlauf und Effizienzgewinne. Lokal genutzter Strom hat bisher keine Preisvorteile bei lokalem Verbrauch, auch bei Nutzung des öffentlichen Netzes. Genau das aber würde einen Erdrutsch an lokaler Wertschöpfung auslösen.
Der aktuelle Eiertanz hält uns von Energie aus undemokratisch geführten Staaten abhängig. Mir gefällt es besser, wenn wir vor Ort aus Luft Energie erzeugen, uns selbst niedrige Strompreise bauen und die Stadtkassen mit Millionen füllen.