HealthHack 2024 - Goldpartner AWO Bezirksverband Braunschweig e.V. im Interview

Veröffentlicht: 5. Februar 2024
Rifat Fersahoglu-Weber ist Vorstandsvorsitzender des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig. (Foto: AWO-Bezirksverband Braunschweig)

Wenn am 12. und 13. April 2024 der sechste HealthHack der Metropolregion im TRAFO Hub Braunschweig stattfindet, ist auch der AWO Bezirksverband Braunschweig e.V. wieder mit von der Partie - dieses Jahr als Goldpartner. Rifat Fersahoglu-Weber, der Vorstandsvorsitzende, hat im Interview einen Einblick gewährt, wo die AWO in diesem Jahr ihren Schwerpunkt setzen will.

Redaktion: Die AWO ist einer der sechs Spitzenverbände in der Freien Wohlfahrtspflege und seit vielen Jahren tatkräftiger Unterstützer des HealthHack. Dafür erst einmal vielen Dank! Worauf freuen Sie sich dieses Jahr besonders?
Rifat Fersahoglu-Weber: Ich freue mich am meisten auf die Challenges, die wir zum HealthHack beisteuern und natürlich auf viele innovative Lösungen. Grundsätzlich ist es eine Freude, die kreativen Prozesse zu beobachten und zu begleiten. Der HealthHack ist eine Veranstaltung mit einer sehr positiven Ausstrahlung.
Redaktion: Pandemie, Inflation…viele Menschen sind von den Krisen der vergangenen Jahre noch immer beeinträchtigt, nicht nur finanziell, sondern auch gesundheitlich. Wo fehlt es da Ihrer Meinung nach an Impulsen, um gegenzusteuern?
Rifat Fersahoglu-Weber: Wir als AWO-Bezirksverband müssen immer neue Impulse setzen, nicht nur aus Krisen heraus. Eine wichtige Frage, der wir uns stellen ist: Wie können wir Dienstleistungen so gestalten, dass sie noch erbracht werden können? Sprich: Wie können wir die Arbeitsbedingungen in unseren Bereichen verbessern. Mit unseren Fragestellungen zu dieser Thematik wollen wir Impulse setzen, damit Lösungen für die Zukunft gefunden werden – immer mit dem Ziel, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen sowie soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie zu stärken.
Was können die Teilnehmenden von Ihnen dieses Jahr beim Hackathon erwarten?
Rifat Fersahoglu-Weber: Die Teilnehmenden können von uns erwarten, dass unsere Aufgaben sehr zielgerichtet sind. Was uns ausmacht, ist die starke Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis.

Für den HealthHack 2024 konnten wir erneut Dr. Andreas Philippi, den niedersächsischen Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, als Schirmherr gewinnen. Im Gespräch erfahren wir, welche Innovationen den Minister zuletzt besonders beeindruckt haben, und wofür er sich als Mediziner eine Lösung im Gesundheitssystem wünschen würde.

Redaktion: Herr Dr. Philippi, wir freuen uns, dass Sie erneut die Schirmherrschaft zum HealthHack übernehmen. Warum ist ein Hackathon nach Ihrer Ansicht ein gutes Format, um neue Lösungen für Herausforderungen in Gesundheit und Pflege zu finden?

Dr. Andreas Philippi: Hackathons bieten allen Teilnehmenden die Möglichkeiten, ihre Kreativität zu entfalten und gemeinsam mit anderen nach Lösungen zu suchen. Davon profitieren alle Beteiligten. So wichtig der Sachverstand der Expertinnen und Experten gerade bei den komplexen Fragestellungen im Gesundheits- und Pflegebereich ist, denke ich doch, dass ‚frischer Wind‘ durch Input von außen eine Bereicherung darstellt.

Redaktion: Welche Innovation aus dem Gesundheits- und Pflegebereich hat Sie zuletzt besonders beeindruckt?

Philippi: Insbesondere im ambulanten Sektor entfaltet die innovative Telemedizin eine entscheidende Versorgungsrolle. Durch die nahtlose Integration von fortschrittlichen Technologien können Patienten nicht nur bequem von zu Hause aus Zugang zu hochwertiger medizinischer Betreuung erhalten, sondern auch eine kontinuierliche Überwachung und Betreuung erleben. Diese Entwicklung ermöglicht es, chronische Krankheiten effektiver zu managen und frühzeitig auf mögliche Komplikationen zu reagieren. Die Telemedizin im ambulanten Bereich schafft somit eine Brücke zwischen Patienten und medizinischen Fachkräften, verbessert die Erreichbarkeit der Gesundheitsversorgung und fördert eine umfassende, präventive Betreuung, die über die bisherigen Grenzen hinausgeht. In Zukunft könnte dies dazu beitragen, die Belastung von Kliniken zu reduzieren und die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern.

Und noch ein anderes Beispiel aus dem Pflegebereich:

Wir haben uns kürzlich mit einer KI-unterstützten Sprachassistenz für die Pflegedokumentation beschäftigt. Diese Software kann aus einer alltagssprachlichen Beschreibung alle pflegerelevanten Informationen entnehmen und strukturiert im Dokumentationssystem ablegen. Das scheint mir eine echte Erleichterung für den Arbeitsalltag zu sein und unterstützt zugleich die Integration von Pflegekräften mit begrenzteren Sprachkenntnissen.

Redaktion: Sie setzen sich für ein patientenorientiertes Gesundheitswesen ein und sehen große Chancen in der Digitalisierung. Damit sich technische Anwendungen in der Praxis etablieren, ist es aber oft ein langer und komplizierter Prozess. Was kann Ihr Ministerium dazu beitragen, um bürokratische Hürden abzubauen?

Philippi: Durch die COVID-19-Pandemie sind die Herausforderungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und die Notwendigkeit des Ausbaus von Digitalisierungsmaßnahmen verstärkt sichtbar geworden. Das Land Niedersachsen hat im vergangenen Jahr im Schulterschluss mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Gesundheitsämtern ein richtungsweisendes Digitalisierungskonzept entwickelt. Über ein Förderprogramm des Bundes im Rahmen des Paktes für den ÖGD stehen dem Land allein für Maßnahmen der Digitalisierung des ÖGD rund 65 Millionen Euro zur Verfügung. Das erarbeitete Digitalisierungskonzept wird den ÖGD in Niedersachsen bei der Umsetzung dieses Förderprogramms begleiten und den Weg in die weitere digitale Zukunft weisen. Niedersachsen hat im Rahmen des Förderprogramms seit 2022 bereits zwölf Landesmaßnahmen und mehr als 40 Modellprojekte den Weg gebracht, um den ÖGD zu stärken und zu modernisieren. In den zwölf Landesmaßnahmen sind vier sogenannte ELFA-Maßnahmen mit Federführung durch Niedersachsen enthalten. ‚Ein-Land-für-Alle-Maßnahmen‘ haben die zentrale Entwicklung eines digitalen Dienstes zum Ziel, der dann allen anderen beteiligten Bundesländern zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus beteiligt sich Niedersachsen an vier weiteren ELFA-Maßnahmen aus anderen Bundesländern und ist damit bundesweit eines der Länder mit den meisten beantragten und bewilligten Maßnahmen.

Diese und weitere Digitalisierungsprojekte tragen dazu bei, den ÖGD nachhaltig zu stärken und für zukünftige Herausforderungen gut aufzustellen.

Die bis zum 31.12.2023 gültige Richtlinie „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ (vollständig: Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Sicherstellung der sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung) hat darüber hinaus Zuwendungen seitens des Landes zur Förderung von innovativen Projekten und Maßnahmen mit digitalen ‚Werkzeugen‘ ermöglicht. Die Richtlinie hatte zum Ziel, eine nachhaltige und über den Förderzeitraum hinaus wirksame Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Niedersachsen zu erreichen und allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben im eigenen häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Ein weiterer Fokus galt der Förderung von barrierefreien, modernen, digitalen und telemedizinischen Anwendungen sowie der Ausweitung erfolgreicher Digitalisierungsprojekte in Niedersachsen, mit der Absicht, diese in die Regelversorgung zu überführen. Gegenstand der Förderung waren zudem telemedizinische Projekte sowie Projekte aus den Förderbereichen Ambient Assisted Living, d.h. Investitionen zum Einsatz von digitalen Assistenzsystemen, die eine gesellschaftliche Teilhabe sowie ein selbstbestimmtes Leben in einer selbstgenutzten Wohnung sowohl von älteren Menschen als auch von Menschen mit Unterstützungsbedarf ermöglichen.

Die Fördersumme wurde vollständig abgerufen und ist damit als wichtiger Beitrag im Rahmen der sektorenübergreifenden Gesundheitsversorgung zu sehen.

Redaktion: Als langjähriger Chirurg haben Sie in Ihrer medizinischen Laufbahn vermutlich auch mit verschiedenen Herausforderungen im beruflichen Alltag kämpfen müssen. Für welche würden Sie sich eine Idee beim HealthHack wünschen?

Philippi: Ein wichtiges Anliegen war es mir in meiner Zeit als Chirurg immer, Patientinnen und Patienten auch nach einem operativen Eingriff zu betreuen und zu wissen, ob es Ihnen gutgeht. Ich denke da an eine ältere Patientin, die für eine Hüft-OP zu mir kam, aber auch leicht demenziell erkrankt war. Ich habe sie nach der OP versucht anzurufen, aber nicht erreicht. Zufällig wohnte eine meiner Mitarbeiterinnen in der Nähe und konnte vorbeigehen – alles war gut, die Dame zupfte schon wieder Unkraut im Garten. Mir war das als Arzt wichtig, aber es kostet viel Zeit. An dieser Stelle würde ich mir wünschen, dass die HealthHacker innovative Ideen entwickeln, wie eine solche Nachversorgung oder das Entlassmanagement insgesamt technologisch sinnvoll unterstützt werden können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Situation von pflegenden Angehörigen, die  - wie ich nur allzu oft beobachtet habe – einer enormen psychischen und physischen Belastung ausgesetzt sind. Deshalb gehört es zu meinen besonderen Anliegen, hier die Rahmenbedingungen zu verbessern. Vielleicht gibt es hierzu ja auch ein paar besondere Ideen aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Redaktion: Zum Abschluss bleibt natürlich noch die Frage: Warum lohnt es sich, am HealthHack teilzunehmen?

Philippi: Um gemeinsam mit anderen nach Lösungen zu suchen, die in kurzer Zeit bereits Ergebnisse sichtbar machen. Das kann inspirieren, im besten Fall das Gesundheitssystem weiter verbessern und erweitert in jedem Fall den Erfahrungsschatz.

Und möglicherweise findet die oder der Eine auf diese Weise langfristig den Weg in einen der vielfältigen interessanten Berufe im Gesundheits- und Pflegebereich und hier ihre oder seine Berufung.

Gemeinsam mit verschiedenen Partner*innen und unter Mitwirkung weiterer Institutionen veranstalten wir am 12. und 13. April im Trafo Hub Braunschweig den HealthHack 2024. Wieder mit dabei: Die Techniker Krankenkasse Landesvertretung Niedersachsen - dieses Jahr als Platinpartner. Raphael Koßmann, Leiter Regionales Vertragswesen und Jurymitglied beim HealthHack steht uns Rede und Antwort.

Redaktion: Die Techniker Krankenkasse (TK) ist bereits seit einigen Jahren Partner des HealthHack. Was überzeugt Sie an diesem Format?

Raphael Koßmann: Als TK-Landesvertretung Niedersachsen sind wir Partner der ersten Stunde, weil wir überzeugt davon sind, dass in Niedersachsen viele Menschen mit großartigen und innovativen Ideen zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems zu Hause sind. Als TK ist es Teil unserer DNA, dafür zu sorgen, dass gesundheitliche Versorgungsangebote zunehmend digital zur Verfügung stehen. Sie sind gefragter denn je und bieten Entwicklungschancen, von denen man heute vielleicht noch gar keine Vorstellung hat. Der HealthHack ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Redaktion: Welcher Bereich in unserem Gesundheitssystem bietet aus Ihrer Sicht momentan das größte Innovationspotential?

Raphael Koßmann: Meiner Ansicht nach ist das klar die Künstliche Intelligenz (KI). Dieses Instrument wird neue Wege in der Entwicklung von Datenhandling, Diagnosestellung etc. ermöglichen. Das Schöne am Gesundheitswesen ist, dass es verschiedenste Professionen bei der Gestaltung einbindet. Unserer Auffassung nach birgt diese Zusammenarbeit ein riesiges Potential. Es wäre nicht richtig, nur eine Profession oder ein Instrument hervorzuheben. Wir setzen auf Kollaboration.

Redaktion: Wie sieht für Sie das optimale Gesundheitssystem der Zukunft aus?

Raphael Koßmann: In einem Gesundheitssystem der Zukunft wird die Patientin oder der Patient digital mit ihren bzw. seinen individuellen Bedürfnissen abgeholt. Angebote werden auf Basis der gesamten Gesundheitsinformationen vorgeschlagen. Sowohl Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten als auch alle weiteren Behandlerinnen und Behandler haben in Echtzeit Zugriff auf die Gesundheitsdaten der betreffenden Personen – auch in Notfällen. Therapien werden zielgerichteter adressiert, Bildgebung digital ausgewertet, Doppeluntersuchungen vermieden und Verwaltungsprozesse reduziert.

Redaktion: Wo bestehen Ihrer Ansicht nach die größten Hürden, um die Vision eines solchen Gesundheitssystems zu realisieren?

Raphael Koßmann: Wir glauben daran, dass die Verfügbarkeit und damit auch die zentrale Nutzung von Gesundheitsdaten das Kernelement zur Gestaltung des Gesundheitssystems der Zukunft sind.
Dazu ist es notwendig, die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten zusammenzubringen, um möglichst allen Versicherten die Nutzung der elektronische Patientenakte (ePA) zu ermöglichen.
Der Weg dahin ist in die richtige Richtung eingeschlagen, aber es wird weiterhin viel Zeit und Überzeugungsarbeit kosten, nicht nachzulassen und diesen Marathon zu beenden. Mit der derzeitigen Geschwindigkeit ist zu befürchten, dass es keine Bestzeit wird.

Redaktion: Der HealthHack ist ein Event, bei dem Teilnehmende aus ganz unterschiedlichen Disziplinen gemeinsam an der Lösung von Problemen arbeiten. Wie unterstützen Sie die Teams vor Ort?

Raphael Koßmann: Wir stehen den Teilnehmenden während des Hackathons als Mentoren zur Seite, die z.B. Fragen zu den verschiedensten Geschäftsmodellen und Marktzugängen diskutieren, über Versorgungssituationen aufklären oder den Gesundheitsmarkt und das Gesundheitssystem in Deutschland an sich erklären.

Redaktion: Am 12. Und 13. April 2024 heißt es beim HealthHack wieder „Hacken, Tüfteln, Coden – für die Gesundheit und Pflege von morgen“, warum sollte man sich dieses Event nicht entgehen lassen?

Raphael Koßmann: Es macht Riesenspaß gemeinsam an Themen zu arbeiten, neue Menschen, Ideen und Methoden kennenzulernen. Es ist eine großartige Erfahrung und eine echt schöne Zeit. Also, nicht zögern, sondern anmelden: https://eveeno.com/healthhack2024

Im Rahmen des PaPräKa-Projekts ist im September ein zweiter Film entstanden. Er soll dazu beitragen, das gemeinschaftliche Engagement für die Pandemieprävention weiter zu stärken.

Metropolregion, 02.11.2023. Mitte September haben rund 50 Expert*innen die Lehren aus der Covid19-Pandemie in der Life Science Factory in Göttingen diskutiert. Dabei ging es nicht nur darum, mit welchen Herausforderungen sich die beteiligten Akteur*innen aus der Medikamentenentwicklung in Forschung und Umsetzung konfrontiert sahen. Im Fokus des Fachkongresses „Removing Roadblocks in der Medikamentenentwicklung“ standen auch Lösungsstrategien für die Zukunft. In einer Pressemitteilung vom 18. September sind die Ergebnisse des Kongresses kompakt zusammengefasst.

Den Appell der Kongressteilnehmenden für ein strukturiertes gemeinsames Vorgehen bei künftigen Pandemien greift nun auch der Film zum Projekt auf: "Lehren aus der Pandemie - Medikamentenentwicklung im Fokus". Welche Lehren wir aus der Pandemie ziehen können und ob wir für die nächste Pandemie im Bereich Medikamentenforschung gut gewappnet sind - Antworten darauf gibt unser PaPräKa-Film.

Über PaPräKa und RAPID Niedersachsen

„PaPräKa“ steht für PandemiePräventionsKampagnen und ist ein Projekt der Metropolregion GmbH in Zusammenarbeit mit der Abteilung Biotechnologie der TU Braunschweig und dem Innovationszentrum Niedersachsen. Es zielt darauf ab, bei künftigen Pandemien eine effizientere Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Akteur*innen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu ermöglichen. PaPräKa unterstützt RAPID Niedersachsen (Response Against Pandemic Infectious Diseases), eine Initiative des Landes Niedersachsen für die Verbesserung der Reaktion auf zukünftige Pandemien.

Hier der Link zum RAPID Aktionsplan:

https://www.tu-braunschweig.de/fileadmin/Redaktionsgruppen/Institute_Fakultaet_2/BBT-Biotech/PDFs/RAPID_Aktionsplan_2023-1.pdf

Das Projekt PaPräKa wird durch das Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser gefördert.

Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch für die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, dass das Rad nicht immer neu erfunden werden muss. Häufig kann es auf der Suche nach geeigneten Lösungen und Innovationspotenzial helfen, den Blick über den Tellerrand zu wagen. Das haben wir getan, und uns im Rahmen unserer diesjährigen dreitägigen Unternehmerreise Schweiz zusammen mit einigen Netzwerkpartnern angeschaut, wie es bei unserem Nachbarn um Innovationen im Bereich Digital Health und Medizintechnik steht. Mitveranstalter der Markterkundungsreise waren hannoverimpuls und das Innovationszentrum Niedersachsen.  

Im Fokus der Reise standen dabei neben der Einführung in die Medizintechnik-Branche und dem Umgang der Schweiz mit der Medical Device Regulation die Vorstellung einer ganzen Reihe spannender Unternehmen, Kliniken und Forschungseinrichtungen. Eines der Highlights war sicherlich das Unternehmen Scewo. 2017 gestartet als Studentenprojekt der ETH Zürich und der ZHdK Zürcher Hochschule der Künste stellt das Unternehmen mittlerweile einen weltweit einzigartigen Elektrorollstuhl her, der Treppen steigen kann und so Betroffenen die Welt wieder auf beeindruckende Weise zugänglich macht.

Bemerkenswert ist in der Schweiz auch der sehr gründerfreundliche Umgang mit Ausgründungen und Technologietransfer. Durch Prof. Dr. Jörg Goldhahn vom Institut für Translationale Medizin der ETH Zürich erhielten wir nicht nur umfassende und interessante Einblicke in die translationale Medizin, sondern erfuhren auch, dass zur Erleichterung von Ausgründungen Hochschulen in der Schweiz auf die finanzielle Auslösung von Patenten verzichten. Eine Hürde, die in Deutschland bekanntlich nicht wenige Startups beim IP-Transfer vor große Herausforderungen stellt.

Danke an die Schweizer Experten für die spannenden Einblicke, bereichernden Informationen und den offenen Austausch und an die Handelskammer Deutschland Schweiz für die tolle Organisation.

Vanessa Luttermann

Vanessa Günther ist Leiterin des Handlungsfeldes Gesundheitswirtschaft in der Metropolregion GmbH. Sie hat Ende September an der Markterkundungsreise in die Schweiz teilgenommen und ihre Erlebnisse für uns zusammengefasst.

(Foto: Metropolregion GmbH)

Berlin, 28. – 29. September, Deutscher Pflegetag. Unsere Projektmanagerin Lina Brandt war zwei Tage vor Ort und schildert uns ihre Eindrücke:

Lina Brandt (Foto: Marco Bühl)

Lina Brandt ist Projektmanagerin im Handlungsfeld Gesundheitswirtschaft bei der Metropolregion GmbH und für den Bereich "Pflege" zuständig

(Foto: Marco Bühl)

Neben vielen Gesprächen mit bekannten Gesichtern aus der Metropolregion durfte ich viel Neues lernen.

„Wir nutzen das fachliche Potenzial der Pflege in Deutschland noch zu wenig aus“, so Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach in seinem Grußwort. Er sprach sich klar für eine Aufwertung der Pflegeberufe durch Kompetenzerweiterungen aus. Dafür müsse der Anteil von studierten Pflegekräften signifikant steigen. Deutschland hat derzeit ein bis zwei Prozent akademische Pflegefachkräfte – Schweden, Frankreich und England sind bereits bei 100 Prozent. Die Qualifikationen müssten sich klar an dem Bedarf der zu Pflegenden orientieren.

Eine Reform ist dringend erforderlich, denn laut Umfrage haben derzeit etwa 60 Prozent „eher weniger Vertrauen“ in die derzeitige Pflegepolitik (forsa.Umfrage i.A. Bosch Health Campus).

Doch warum werden die jahrelangen Forderungen des Deutschen Pflegerates e.V. nicht gehört? Sind die Kolleg*innen zu leise, zu freundlich oder doch zu nörgelnd? Um gehört zu werden, sprechen sie jedenfalls offenbar nie die richtige Sprache. Aber es gibt eine Sprache, die überall verstanden wird: Die Musik.

Christina Vogler, als Präsidentin des Deutschen Pflegerates ist nicht alleine auf der Bühne, an ihrer Seite einige ihrer Kolleg*innen aus den Bundesländern. „Lassen Sie uns zusammen einen Rhythmus ausprobieren, der gutes Potential hat, gehört zu werden, der ein Zeichen für Veränderung werden kann. Lassen Sie uns dieses Jahr ein ungewöhnliches Zeichen setzen! Und lassen Sie uns in Zukunft immer mehr Methoden finden, die die Menschen in Deutschland hören können und anders wahrnehmen, als sie es bisher getan haben“, so Vogler.

Der ganze Saal ertönte in den unterschiedlichen Rhythmen: Der Erste Rhythmus steht für uns alle, für die Gesellschaft als die Grundlage unseres Landes. Es folgt der Herzschlag, als Symbol für die Pflegenden. Mit den Worten „Lasst uns wachsam bleiben“, leitet Frau Vogler den dritten Rhythmus ein. Der vierte und letzte Rhythmus trägt den Titel „Aufbruch“.

Gesellschaft – Herzschlag – Wachsam bleiben – Aufbruch

Das Besondere: Hier und heute macht die Pflege den Rhythmus, sie schreibt ihn vor.

Für mich persönlich war der Deutsche Pflegetag ein Zeichen für Mut und Aufbruch und ich bin beeindruckt von der Diversität vor Ort: Von Jung bis Alt, von Startup bis Globalplayer – sie alle machen sich auf den Weg.

Am 14. September 2023 haben sich zahlreiche Expert*innen auf dem PaPräKa-Fachkongress in Göttingen über die Hürden in der Medikamentenforschung und -entwicklung während der Covid-19-Pandemie ausgetauscht. Ein Aktionsplan für den Umgang mit künftigen Pandemien wurde präsentiert.

Metropolregion, 18.09.2023. Klar definierte Zuständigkeiten im Pandemiefall, Rechtssicherheit für Sofortmaßnahmen in Krisensituationen für Wissenschaftler*innen, mehr Interaktion zwischen Veterinär- und Humanmedizin – das sind nur einige der Erkenntnisse des Fachkongresses „Removing Roadblocks in der Medikamentenentwicklung“ vom 14. September. Unter Federführung der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg GmbH, der TU Braunschweig und des Innovationszentrums Niedersachsen haben rund 50 Expert*innen in der Göttinger Life Science Factory diskutiert.

Im Mittelpunkt des Kongresses standen die Herausforderungen in der Entwicklung von Medikamenten gegen neue Krankheitserreger in einer Pandemie. Die Teilnehmenden waren sich einig: Die nächste Pandemie wird nicht nur sicher, sondern auch bald kommen. Um darauf besser vorbereitet zu sein, brauche es jetzt - bevor die nächste Krise beginnt - ein strukturiertes gemeinsames Vorgehen, lautete der Tenor der drei Panel-Diskussionen auf dem Fachkongress.

„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir in sehr kurzer Zeit mit vielen verschiedenen Akteur*innen zusammenarbeiten müssen. Und das müssen wir in den zwischenpandemischen Zeiten trainieren“, so Prof. Dr. Michael Hölscher, Leiter des Fraunhofer ITMP Standorts für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung IIP in Penzberg/München. „Wir haben gelernt, dass das Vorhandensein von Plattformtechnologien und von Netzwerken für die Herstellung und Entwicklung und auch für das klinische Studiendesign und die Durchführung von klinischen Studien bedeutsam sind und natürlich einen sehr starken Zeitvorteil bedeuten“, ergänzt Prof. Dr. Isabelle Bekeredjian-Ding, Kommissarische Leitung des Zentrums für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI) beim Paul-Ehrlich-Institut.

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Rund 50 Personen nahmen am PaPräKa-Fachkongress in der Life Science Factory in Göttingen teil (Foto: Marco Bühl)

Prof. Dr. Stefan Dübel, Leiter der Abteilung Biotechnologie der Technischen Universität Braunschweig, stellte auf dem Kongress zudem den RAPID-Aktionsplan vor. Dieser soll dazu beitragen, die Medikamentenentwicklung künftig zu beschleunigen. Dabei identifiziert der Aktionsplan zehn Aspekte, die die Medikamentenentwicklung in der Pandemie gebremst haben. Hierzu zählen beispielsweise langsame Bewilligungsprozesse zur Förderung wissenschaftlicher Maßnahmen und rechtliche Handlungsunsicherheit für die Sofortmaßnahmen. Zugleich präsentiert der Aktionsplan für alle gefundenen Engpässe konkrete Vorschläge, wie die Wirkstoffentwicklung in künftigen Pandemien schneller erfolgen kann. Beispiele sind beschlossene Notfallförderprogramme, besser strukturierte Genehmigungsverfahren, fertig ausgearbeitete Pläne für Sofortmaßnahmen, und eine vorbereitende Vernetzung der betroffenen Wissenschaftler, Institutionen und Industrie in nicht-pandemischen Zeiten. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen sei nun eine Aufgabe von Politik und Verwaltung, betont Dübel: „Wir haben bei der Entwicklung unseres Corona-Medikaments gelernt, dass die wissenschaftlichen Arbeiten durch zahlreiche nicht-wissenschaftliche Rahmenbedingungen verlangsamt wurden. Wir müssen jetzt beginnen, diese Hindernisse zu beseitigen, wenn wir wirklich bei der nächsten Pandemie schneller sein und mehr Leben retten wollen.“

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Prof. Dr. Stefan Dübel präsentierte auf dem Fachkongress den RAPID-Aktionsplan (Foto: Marco Bühl)

Über PaPräKa und RAPID Niedersachsen:

„PaPräKa“ steht für PandemiePräventionsKampagnen und ist ein Projekt der Metropolregion GmbH in Zusammenarbeit mit der Abteilung Biotechnologie der TU Braunschweig und dem Innovationszentrum Niedersachsen. Es zielt darauf ab, bei künftigen Pandemien eine effizientere Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Akteur*innen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zu ermöglichen. PaPräKa unterstützt RAPID Niedersachsen (Response Against Pandemic Infectious Diseases), eine Initiative des Landes Niedersachsen für die Verbesserung der Reaktion auf zukünftige Pandemien.

Das Projekt PaPräKa wird durch das Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser gefördert.

Eine der Erkenntnisse, die das Covid-19-Virus hinterlassen hat: Wir müssen als Gesellschaft besser auf zukünftige Pandemien vorbereitet sein. Um dieses Anliegen zu kommunizieren, wurde das Projekt PaPräKa (PandemiePräventionsKampagnen) ins Leben gerufen mit dem Ziel, alle relevanten Akteur*innen und Stakeholder zusammenzubringen und konstruktiv an Szenarien für die zukünftige Pandemiebekämpfung zu arbeiten.

Welche Rolle dabei der Fachkongress „Removing Roadblocks in der Medikamentenentwicklung – Prozesse von der Präklinik bis zum IP-Transfer beschleunigen“ von der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg GmbH und der Technischen Universität Braunschweig spielt, haben wir im Gespräch mit Prof. Dr. Stefan Dübel, Leiter der Abteilung Biotechnologie an der TU Braunschweig und wissenschaftlicher Leiter von PaPräKa und RAPID Niedersachsen, sowie mit Linda Hoffmeister, Projektmanagerin von PaPräKa bei der Metropolregion GmbH, erörtert.  

Redaktion: Herr Prof. Dübel, wie bewerten Sie rückblickend die Prozesse in der Medikamentenentwicklung während der COVID-19-Pandemie?

Dübel: Die extrem schnelle Entwicklung unseres COVID-19-Medikaments, das wir aus der universitären Forschung innerhalb eines Jahres bis in die klinische Prüfung brachten, erscheint zwar von außen als rekordverdächtig, dennoch haben wir während dieser Zeit viele nichtwissenschaftliche Faktoren wahrgenommen, die den Fortschritt mehr als eventuelle wissenschaftliche Probleme behinderten. Mit anderen Worten, es wäre noch schneller gegangen - in einer pandemischen Situation mit täglich Tausenden von Toten eigentlich ein Unding. Diese Erkenntnis war der Ausgangspunkt der Initiativen PaPräKa/RAPID Niedersachsen und PaPräKa.

Redaktion: Wo hat die Zusammenarbeit während der Pandemie bereits gut geklappt, wo sind Netzwerke entstanden, auf die auch künftig zurückgegriffen werden kann?

Dübel: Die völlig unproblematische Zusammenarbeit mit den lokalen Kollegen in Braunschweig, bei uns insbesondere am HZI und ITEM, war Gold wert und hat enorm Zeit gespart, vor allem, weil alle Beteiligten sich seit langer Zeit gut kannten. Im direkten Vergleich dazu hatte unser gleichzeitig laufender COVID-19 EU-Forschungsverbund ATAC Logistik-Probleme durch die Lockdowns. Daraus haben wir viel gelernt.

Redaktion: Bürokratie, Kommunikation, Organisation – das sind alles Aspekte, die dazu beitragen, dass der Prozess der Medikamentenentwicklung länger dauert als er müsste. Wo sehen Sie in diesem ganzen Ablauf die größten Hürden?

Dübel: Wir haben gerade dazu ja eine sehr genaue und umfassende Erhebung unter reger Mithilfe verschiedenster Stakeholder aus allen befassten Bereichen, von Forschung bis Behörden und Industrie, durchgeführt. Die Ergebnisse sind in unserem RAPID-Aktionsplan zusammengefasst, in dem wir auch zur Verbesserung zehn sehr detaillierte und konkrete Maßnahmen vorschlagen. Der RAPID-Aktionsplan wird auf dem Kongress vorgestellt. Kurz zusammengefasst geht es vorwiegend um finanzielle, rechtliche und verwaltungstechnische Hindernisse.  

Redaktion: Was ließe sich tun, um die Situation künftig zu verbessern?

Dübel: Die einzelnen Maßnahmen sind oft sogar einfach und erfordern keine wesentlichen Finanzmittel. Die meisten Engstellen könnten durch eine vorbereitende Abstimmung der beteiligten Partner über die finanziellen, rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen vor der nächsten Pandemie gelöst werden. Gemeinsames Motiv ist: vorher miteinander reden, und vorbereitet sein, statt erst zu reagieren, wenn Menschen sterben.

Redaktion: Auf dem Fachkongress am 14. September soll es ja nun darum gehen, wie die Medikamentenentwicklung effizienter werden kann. Aufgeteilt ist der Kongress in drei Blöcke zu den Themen Herausforderungen für die Forschung, Herausforderungen für die Umsetzung und Lösungsansätze. Was versprechen Sie sich von den Panels?

Hoffmeister: Das Hauptziel von PaPräKa ist die optimale Vernetzung aller relevanten Stakeholder, die an der Pandemiebekämpfung im Land beteiligt waren und sind. Das spiegelt sich auch im Programm unseres Fachkongresses mit dem Schwerpunkt Medikamentenentwicklung wider. Die Paneldiskussionen bieten Raum für den interdisziplinären Austausch, der an anderer Stelle möglicherweise zu kurz kommt.

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Linda Hoffmeister ist Projektmanagerin von PaPräKa bei der Metropolregion GmbH (Foto: Metropolregion GmbH)

Redaktion: Wie soll es nach dem Kongress konkret weitergehen?

Hoffmeister: Die Vernetzung der verschiedenen Akteur*innen langfristig zu gewährleisten und nachhaltig sicherzustellen, bleibt weiterhin das Ziel. Die nächste Pandemie kann unter Umständen schneller kommen, als wir es uns jetzt vorstellen. Dann sollten wir wirklich effektiver vorbereitet sein und unsere Lehren aus der Covid-19-Pandemie gezogen haben.

Dübel: Unser Ziel muss es natürlich sein, alle für die Medikamentenentwicklung befassten Stellen und Institutionen vor der nächsten Pandemie so miteinander zu vernetzen und vorbereitende Koordinationsstrukturen und -regeln so zu schaffen, dass die Wissenschaftler*innen bei der nächsten pandemischen Bedrohung nicht mehr gebremst, sondern unterstützt werden. Denn die nächste Pandemie wird kommen, das steht außer Zweifel.

Redaktion: An dem PaPräKa-Fachkongress sind viele Partner*innen und Initiativen beteiligt: Neben der TU Braunschweig sind das RAPID Niedersachsen, BioRegioN – das Life Science Network Niedersachsen, Startup Niedersachsen und die Life Science Factory. Also viel Schlagkraft, die sich da zusammengetan hat. An welchen Kriterien machen Sie einen Erfolg fest?

Hoffmeister: Eines der Erfolgskriterien stellt aus meiner Sicht das große Interesse der einzelnen Akteur*innen an der gesamten Thematik dar. Auch wenn wir im alltäglichen Leben momentan nicht mehr viel von der Pandemie spüren, so ist es dennoch extrem wichtig, dass wir für die nächste Pandemie besser vorbereitet sind. Das gilt sowohl für den Bereich der Medikamentenentwicklung, als auch für viele weitere Bereiche. Ich bin mir sicher, dass es sich auszahlen wird, konstruktive Lehren aus der Covid-19-Pandemie zu ziehen und sich auf allen Ebenen angemessen auf einen weiteren Pandemiefall vorzubereiten.

Dübel: Dank der zahlreichen Mithilfe der vielen an der Erstellung des RAPID Aktionsplans beteiligten Stakeholder haben wir eine sehr genaue Beschreibung der Probleme, und viele sehr konkrete Vorschläge, wie sie zu lösen sind. Ein Erfolg wäre es deshalb, wenn die Politik einige unserer Vorschläge umsetzen würde. Es geht hier immerhin um Menschenleben.

Der PaPräKa-Fachkongress findet am 14. September 2023 von 9:00 bis 17:30 Uhr in der Life Science Factory in Göttingen statt. Einen Überblick über das Programm mit hochkarätigen Expert*innen aus Wissenschaft und Forschung finden Sie hier.

PaPräKa wird gefördert durch das Amt für regionale Landesentwicklung Leine-Weser.

Metropolregion, 05.07.2023. Von A wie AOK Niedersachsen bis Z wie Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (TU Braunschweig) – im Fachbeirat Gesundheitswirtschaft der Metropolregion Hannover Braunschweig Göttingen Wolfsburg GmbH findet sich ein breites Spektrum der Gesundheitsbranche und die damit verbundene Fachexpertise. Ein Potenzial, das wir auch in Zukunft bestmöglich nutzen möchten, um gemeinsam mit unserem Netzwerk weiter an der Stärkung der Gesundheitsversorgung, -wirtschaft und -wissenschaft in unserer Metropolregion und darüber hinaus zu arbeiten.

Denn klar ist: Unser Gesundheitssystem steht heute mehr denn je vor einer Vielzahl an Herausforderungen, für die dringend Lösungen benötigt werden. Diese sollen sich nicht nur nachhaltig in unser hochkomplexes Versorgungssystem einfügen, sondern vor allem auch den Bedarfen der Menschen gerecht werden. Um künftig noch zielgerichteter an Lösungen für die Gesundheit und Pflege von morgen zu arbeiten, nehmen nun verschiedene Facharbeitsgruppen (AGs) im Handlungsfeld Gesundheitswirtschaft der Metropolregion GmbH ihre Arbeit auf.

„In den Arbeitsgruppen bündeln wir das Fachwissen von Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Versorgungspraxis und Kommunen, um mit ganzheitlichem Blick innovative Lösungen für die Herausforderung in Gesundheit und Pflege zu erarbeiten, die einen echten Mehrwert für alle Beteiligten schaffen. Dabei ist uns wichtig, nicht nur „die üblichen Verdächtigen“ an einen Tisch zu holen, sondern – wann immer möglich und sinnvoll – auch den Blick über den fachlichen „Tellerrand“ oder die regionalen Grenzen hinaus zu bewerkstelligen.“ erklärt Vanessa Günther, Leiterin des Handlungsfeldes Gesundheitswirtschaft. Prof. Dr. Axel Haverich, Vorsitzender von Lenkungskreis und Fachbeirat in der Metropolregion GmbH sowie ehemaliger Herzchirurg und Transplantationsmediziner, ergänzt: „Meine Philosophie war schon immer, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss, was die Gesundheitsversorgung anbelangt. Dementsprechend wollen wir mit den Arbeitsgruppen gezielt dazu beitragen, die Situation sowohl für Patient*innen als auch für Beschäftigte im Gesundheitssektor im Sinne einer Gesundheitsvorsorge zu verbessern. Dazu braucht es durchdachte und innovative Konzepte, die wir in den Arbeitsgruppen gemeinsam entwickeln wollen.“ 

Mehrere Arbeitsgruppen befinden sich aktuell in der Gründungsphase. Mit dabei sind Themen wie eHealth, Pflege und Startup-Förderung im Life Science Bereich. Den Auftakt hat am 28. Juni die AG Pflege unter Leitung von Professorin Martina Hasseler (Ostfalia Hochschule) gemacht. 

Kick-Off der AG Pflege – eine lebhafte Auftaktveranstaltung mit spannender Fachdiskussion und positivem Gestaltungswillen bei allen Beteiligten (Foto: Jennifer Bullert)

Der Fachbeirat in seiner ursprünglichen Form bleibt bestehen und tagt unabhängig von den AG-Sitzungen einmal im Kalenderjahr. Im Newsletter werden wir Ihnen nun regelmäßig interessante Einblicke in die Arbeit der AGs geben.

Wenn Sie Fragen haben oder sich in einer Arbeitsgruppe engagieren möchten, melden Sie sich gerne bei Vanessa Günther unter vanessa.guenther@metropolregion.de.

Nach dem Abschied von Professor Erich Barke übernimmt nun der ehemalige Herzchirurg und Transplantationsmediziner, Professor Dr. Axel Haverich, den Vorsitz von Lenkungskreis und Fachbeirat im Handlungsfeld Gesundheitswirtschaft. Zu diesem Anlass haben wir uns mit Professor Haverich zusammengesetzt und mit ihm einen Ausblick auf seine künftige Tätigkeit unternommen.

prof. axel haverich foto jennifer bullert

Prof. Dr. med. Axel Haverich hat rund fünf Jahrzehnte als Transplantationsmediziner und Herzchirurg gearbeitet und sich dabei unter anderem auf die Transplantationsforschung konzentriert. Im Fokus stand dabei auch das Thema nachwachsende Organe. Zu seinen Erfolgen zählt unter anderem die Entwicklung von mitwachsenden biologischen Herzklappen – ein Meilenstein in der Behandlung von Herzfehlern, vor allem bei Kindern.

Redaktion GesundheIT: Herr Haverich, wir freuen uns, Sie als neuen Vorsitzenden von Lenkungskreis und Fachbeirat Gesundheitswirtschaft willkommen zu heißen. Ein gutes halbes Jahrhundert waren Sie an der Medizinischen Hochschule Hannover, haben dort geforscht und gelehrt. Was hat Sie bei der Arbeit in einem Krankenhaus der Maximalversorgung am meisten bewegt?

Haverich: Die Patienten. Sie sind diejenigen, die uns morgens, mittags, abends und nachts am Operationstisch, auf der Intensivstation und im weiteren Verlauf auf der Normalstation bei Laune und bei Aktivität gehalten haben. Das ist der Grund, warum ich Arzt geworden bin. Nicht alles, was wir gemacht haben, war immer nur toll und es gab auch Defizite in unseren Behandlungsmöglichkeiten. Das hat uns in die Forschung getrieben, um bessere Implantate, bessere Verfahren und bessere Instrumente zu entwickeln, von denen dann die Patienten profitieren konnten.

Redaktion GesundheIT: Im Interview zu ihrem Abschied von der MHH haben Sie mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung auch angesprochen, wie sich die Medizin während Ihrer beruflichen Laufbahn weiterentwickelt hat. Heutzutage läuft vieles minimalinvasiv ab und Robotik-Systeme werden als Unterstützung eingesetzt. Wie sehen Sie die Medizin der Zukunft?

Haverich: Die Medizin der Zukunft – zumindest was die Chirurgie angeht – wird ganz sicher minimalinvasiv sein. Der Roboter wird zunehmend eine Rolle spielen. Und die Situation für den einzelnen Patienten wird sicherlich günstiger, was seine Prognose bzw. das Risiko der Operation angeht. Was mich an der Entwicklung der Medizin und im Besonderen der Chirurgie allerdings stört, ist, dass es sehr stark kommerzialisiert ist. Beispielsweise werden viele Eingriffe sozusagen auf Betreiben der Geschäftsleitungen motiviert, damit sich dadurch die ökonomische Situation des gesamten Krankenhauses verbessert. Das bedeutet: Nicht das Arzt-Patienten-Verhältnis und der tatsächliche Therapieplan stehen im Vordergrund.

Redaktion GesundheIT: Sie sind nun Vorsitzender des Lenkungskreises und des Fachbeirats und beraten die Metropolregion rund um medizinische Themen. Was haben Sie sich in dieser Funktion vorgenommen bzw. was möchten Sie erreichen?

Haverich: Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir die hier in der Region vorhandene Kompetenz hinsichtlich Gesundheit wahrnehmen – sei es in der Wirtschaft, in der ärztlichen Versorgung, in der Pflegeversorgung oder bei anderen technischen Berufen. Diese Kompetenz müssen wir sichtbarer machen und die Ausbildung und Studiengänge möglichst optimieren. Auf der gesundheitswirtschaftlichen Seite wird sich das, denke ich, etwas von den klassischen Produkten weg entwickeln. Also nicht mehr nur die neue Schere oder Pinzette, sondern hin zu mehr eHealth-Applikationen. Ich glaube auch, dass die ältere Bevölkerung künftig mehr Angelegenheiten über Apps abwickeln wird. Zum Beispiel auf der Informationsebene: Wo gehe ich hin? Soll ich das machen lassen? Ebenso wird das für die Nachsorge eine Rolle spielen. Ein ganz großes Potenzial sehe ich in der virtuellen Realität oder Augmented Reality. Ich glaube, da können wir im Bereich Schulungen im Krankenhaus und in den Praxen sehr viel machen und haben so auch die Möglichkeit, Ausbildungskonzepte besser und schneller vermitteln zu können.

Redaktion GesundheIT: Sie haben ja bereits in vielen verschiedenen Kommissionen und Fachgesellschaften Erfahrungen gesammelt. Was nehmen Sie daraus für die Metropolregion mit?

Haverich: Was ich immer wieder in allen Gremien merke, ist, dass die Erfahrungen, die man aus Gremium Nummer eins bis drei mitgebracht hat – allein, was die Umgebungsbedingungen für Medizin und Chirurgie sind oder für Medizinprodukte – gute Erfahrungen sind. Die lassen sich zwar nicht eins zu eins übertragen, aber mit diesem Erfahrungsschatz kann man dann vielleicht auch in den weiteren Gremien Impulse setzen, weil man so einen gewissen Überblick über das Gesamtsystem hat.

Redaktion GesundheIT: Sie schreiben in Ihrem Buch „Der menschliche Faktor“ über die positiven Auswirkungen von Virtual Reality auf Patienten. Auch für die Metropolregion GmbH gewinnt diese Technologie zunehmend an Bedeutung. Was könnten da künftige Behandlungsansätze bzw. -einsätze sein?

Haverich: Eigentlich habe ich immer gedacht, dass dieses Metaverse nichts für meine Generation ist. Aber wenn ich sehe, dass wir Patienten – gerade Schmerzpatienten, Rheumapatienten oder auch Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen – dadurch positiv beeinflussen können, und die Datenlage das auch stützt, dann ist das etwas ganz Wichtiges. Es gibt eine sehr gute Studie aus den USA – in dem Fall New York City – in der das Pflegepersonal während der COVID-Pandemie, einer Phase der Maximalbelastung, über virtuelle Realität auch in Entspannungsphasen hineingebracht wurde. Also ist VR nicht nur für Patienten, sondern tatsächlich auch für die Menschen, die am Patienten arbeiten, eine sehr gute Technologie, die eigentlich weiterentwickelt werden muss. Ich habe eine persönliche Erfahrung gemacht mit einer Patientin auf der Intensivstation, die seit drei Monaten mit einer ganz schlechten Prognose und einem sehr schweren Verlauf dort lag. Und da habe ich gesagt: „Jetzt versuchen wir das mal mit der virtuellen Realität.“ Wir haben sie dann damit in ein Kanu gesetzt in der Arktis. Anfangs dachten wir, dass es schwierig werden würde, aber als wir ihr die Brille absetzen wollten, hat sie gefragt, warum wir denn schon aufhören und wann sie die Brille noch einmal nutzen könne. Das zeigt einfach, dass auch eine – wie in diesem Fall etwa 65-jährige Frau – von dieser Technologie profitiert.

Redaktion GesundheIT: Was sind in Ihren Augen in der Gesundheitswirtschaft aktuell die größten Hürden, die überwunden werden müssen?

Haverich: Eigentlich sind es zwei. Die meisten, die in der Gesundheitswirtschaft arbeiten, klagen darüber, dass es so schwierig ist, neue Produkte auf den Markt oder an den Patienten zu bringen. Ich sage auf der anderen Seite als erfahrener Klinikarzt, dass aber viele Produkte vielleicht auch gar nicht das halten, was sie initial versprechen oder wofür sie in der Anfangsphase mal entwickelt worden sind. Also das Einführen neuer Produkte in die Medizin ist im Moment in Deutschland ganz sicher nicht einfach. Die allergrößte Hürde ist allerdings der Personalmangel. Und es wird immer von der Pflege gesprochen, da ist es am prominentesten. Aber in der Chirurgie ist es nicht viel besser. Zum Schluss waren von 50 Ärzten in meiner Abteilung über 30, die mit einer Migrationsgeschichte zu uns kamen. Das heißt, in die Chirurgie gehen die deutschen Studienabgänger nicht mehr rein. Und das betrifft nicht nur die Chirurgie und nicht nur die Medizinische Hochschule, es betrifft zum Beispiel die Anästhesie und vor allem die Flächenländer. Der Personalmangel ist das größte Problem überhaupt. Und hier müssen wir dringend Abhilfe schaffen und Ideen entwickeln, um das System aufrechtzuerhalten.

Redaktion GesundheIT: Was sehen Sie denn als Grund, dass es so viel Personalmangel in der Chirurgie oder Anästhesie gibt?

Haverich: In der aktuellen Arbeitsmarktsituation können sich Studienabgänger und Auszubildende ja quasi ihren Arbeitsplatz aussuchen. Und dann wählen sie nicht einen, bei dem sie möglicherweise um zwei Uhr morgens für sechs Stunden am Operationstisch stehen müssen. Zweitens gehen die Berufe, in denen aktuell Personalmangel herrscht, mit der meisten Verantwortung einher. Und ich habe viele Gespräche mit den Studierenden bei uns an der Medizinischen Hochschule geführt und gesagt: „Ihr habt Angst, die Verantwortung zu übernehmen.“ Denn wenn man sich nachts hinstellt für sechs Stunden und einen Patienten operiert und dann am nächsten Morgen feststellt, dass da etwas schiefgelaufen ist, dann steht man als Chirurg allein in der Verantwortung für Gelingen oder Nicht-Gelingen der Operation. Andererseits äußert sich nach der deutlichen Mehrzahl der Operationen ein Gefühl von Stolz über die eigene Leistung. Beim Nachwuchs überwiegt im Moment aber die Überlegung: Schaffe ich das hinsichtlich der Verantwortung? Und da müssen wir ansetzen – in der Pflege wie bei unserem ärztlichen Nachwuchs.

Redaktion GesundheIT: Und wie könnte dieses Problem im besten Fall gelöst werden?

Haverich: Twinning. Wir haben das mit zwei Personen gemacht, also quasi Pilot und Co-Pilot nebeneinander und eine längere Phase der Einarbeitung. Dass die jungen Chirurgen nicht so früh alleine gelassen werden, wie das bei uns früher der Fall war. Das waren schon sehr anstrengende Zeiten mit wenig Schlaf. Wir sind sicher zu jung in die Verantwortung gegangen. Aber ich denke, dass es hier gute Betreuungs- und kollegiale Konzepte gibt, um den jungen Menschen die Angst vor der alleinigen Verantwortung zu nehmen.

Redaktion GesundheIT: Nun zu einem anderen Thema. Die Metropolregion umfasst nicht nur mehrere Großstädte, sondern auch viele kleinere und mittlere Städte sowie den ländlichen Raum. Wo sehen Sie da bei der medizinischen Versorgung zurzeit den dringendsten Handlungsbedarf hinsichtlich des sogenannten Stadt-Land-Gefälles?

Haverich: Ich habe viel mit Politikern und Bürgermeistern von Stadt und Land gesprochen, natürlich auch mit Bürgerinnen und Bürgern, auch im familiären Umfeld. Für mich steht immer die Qualität der medizinischen Versorgung vor der Entfernung. Das ist sehr schwer zu vermitteln, besonders bei der älteren Bevölkerung, das weiß ich. Aber aus chirurgischer Perspektive müssen die wichtigen und großen Eingriffe dort vorgenommen werden, wo auch die entsprechende Erfahrung besteht. Und das bedeutet automatisch, dass solche Eingriffe nicht in kleinen Häusern auf dem Lande gemacht werden können. Das heißt, die Bevölkerung muss sich damit auseinandersetzen, dass es beispielsweise für Krebs- oder Herzoperationen möglicherweise längere Anfahrtswege gibt. Dafür wird dann aber eine qualitativ hochwertige Versorgung geleistet. Die Versorgung mit Blick auf Allgemein- und Fachärzte ist eine andere Situation. Aber auch hier bin ich der Meinung, dass eine gute Versorgung in 20 Kilometern Entfernung sinnvoller ist, als eine mäßige oder unregelmäßige Versorgung vor Ort. Und wenn wir den Blick über den großen Teich in die USA wagen, merken wir meist erst dann, was unsere Gesundheitsversorgung alles abdeckt, während der Zugang zu medizinischer Versorgung in den USA viel schwieriger ist.

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